Das mittelalterliche Sizilien Teil 1: Die Byzantiner

Wenn wir heute an Sizilien denken, dann sehen wir in erster Linie die Insel. Doch weder in der Antike noch im Mittelalter wurde die Meerenge von Messina als Grenze wahrgenommen.

Die italienische Halbinsel mit Sizilien. Quelle: NASA / Wikipedia.

Vergessen wir nicht, die Griechen bauten kaum Straßen über das Festland. Ihr wichtigstes Verkehrsmittel war das Schiff, nicht der Wagen. Und die berühmten Straßen der Römer verfielen mit der Völkerwanderung und wurden erst im späten Mittelalter mehr schlecht als recht restauriert. Ein ausgedehntes Straßennetz kennt erst die beginnende Industrialisierung; und die Touristen, die im 19. Jahrhundert Neapel besuchten, waren begeistert, als eine Schiffsverbindung von Genua nach Neapel eingerichtet wurde, die ihnen den beschwerlichen Landweg verkürzte. So war das Meer also kein Hindernis, sondern eine angenehm benutzbare Wasserstraße. Die Insel Sizilien bildete mit Süditalien eine kulturelle, geographische, politische und wirtschaftliche Einheit, die wir in dieser Serie auch als solche behandeln wollen.

Karte der Magna Graecia im Altertum. Quelle: Captain Blood / CC BY-SA 3.0

Der Reichtum des Landes

Immer wieder kamen Menschen aus dem gesamten Mittelmeerraum, um an den Reichtümern Unteritaliens und Siziliens teilzuhaben. So mischte sich die einheimische Bevölkerung mit Einwanderern aus Italien, Griechenland, Kleinasien und dem afrikanischen Karthago. Der südliche Teil Italiens behielt auch unter römischer Herrschaft seinen griechischen Charakter.
Sizilien war also schon in der Antike ein Schmelztiegel der Kulturen. Die Geographie und seine gebirgige Struktur machten es dazu. Während die Küsten leicht zugängliche Häfen mit fruchtbarem Hinterland bieten, existieren im Landesinneren Rückzugsgebiete, die niemand wirklich erobern kann. Unzugängliche Bergdörfer waren jahrhundertelang sichere Refugien für unterlegene Kulturen. Hier überlebten die Elymäer die karthagische Eroberung, hier hielten die Byzantiner noch Jahrzehnte lang ihre Festungen gegen die Araber, hier blieben die Araber, als die Normannen die Insel eroberten.

Gela. Tetradrachme, 420-415. Rv. Protome eines Flussgottes in Gestalt eines menschenköpfigen Stiers. Aus Auktion Gorny & Mosch 244 (2017), 56 – Der Reichtum an Wasser brachte in Sizilien das Konzept des Flussgottes hervor, der genauso gut reiche Ernte schenken wie mit seinen Wassermassen die Stadt überschwemmen konnte.

Warum aber war das Land so unglaublich attraktiv für fremde Siedler? Nun, bis in die frühe Neuzeit bot es zwei Vorteile: Erstens, es war unendlich fruchtbar. Die Schwemmlandebenen, die zahlreiche Flüsse mit genügend Wasser versorgten, brachten große Mengen von Getreide hervor. Friedrich II. wurde reich und mächtig, weil es ihm gelang, den Getreidehandel Siziliens, der Mittel- und Oberitalien mit Nahrung versorgte, zu monopolisieren.
Und damit sind wir bei dem zweiten Vorteil, den Sizilien bot. Durch seine zentrale Lage und seine geschützten Häfen war es ein hervorragender Ausgangspunkt für Händler. Hier wurden Waren aus dem gesamten Mittelmeerraum weiterverkauft. Der Profit machte die Menschen reich.

Wilhelm von Gloeden, Bauernfamilie aus Taormina, um 1880/1885.

Warum aber wurde Sizilien später zum Armenhaus Europas? Ganz einfach, die Zeit der kleinen, natürlich fruchtbaren, von Hand bestellten Felder endete, als in der neuen Welt riesige Anlagen künstlich gedüngt und in großem Stil bebaut wurden. Damit kann kein natürlicher Ackerbau Schritt halten, und wenn der Boden noch so fruchtbar ist. Der Handel suchte sich außerdem neue Wege und Transportmittel. So liegt Sizilien heute nicht mehr im Brennpunkt einer florierenden Mittelmeerwirtschaft. Stattdessen ist es eine Grenzfestung Europas geworden, wo sich die reichen Länder gegen die Eindringlinge aus dem armen Afrika vehement zur Wehr setzen.

Der byzantinische Kaiser Iustinian inmitten seines Hofstaats. Mosaik aus San Vitale / Ravenna. Quelle: Wikipedia.

Das byzantinische Sizilien

533 segelte in Konstantinopel, der Hauptstadt des byzantinischen Reichs, eine Flotte von 500 Schiffen ab. Sie transportierte 15.000 Infanteristen und Reiter, denen Iustinian den Befehl erteilt hatte, das reiche Sizilien zurückzuerobern.

Die Eroberungen Iustinians. Quelle: Captain Blood / CC BY-SA 3.0

Sizilien sollte nur der Anfang sein. Iustinian plante, das gesamte römische Reich wieder in einer Hand zu vereinen. Die strategisch so günstig gelegene Insel war als Nachschubbasis vorgesehen, um von hier aus ganz Italien aus den Händen der germanischen Stämme zu befreien. Tatsächlich stieß das Heer auf keinen nennenswerten Widerstand: Die Vandalen verschwanden, das byzantinische Reich richtete sich auf Sizilien und in Unteritalien ein.
Die Bevölkerung wird diesen Machtwechsel eher begrüßt haben. Schließlich waren diese Gebiete schon seit der Kolonisation des 7. Jahrhunderts v. Chr. in griechischer Hand. Im Süden dachte man anders, und man begrüßte die Byzantiner, weil man ihre Kultur verstand. Griechisch war die Sprache der Bevölkerung, religiös orientierte man sich nach Konstantinopel. Sizilien und Unteritalien blieben fast 200 Jahre lang ein wesentlicher Teil Ostroms, auch wenn die meisten anderen Eroberungen Iustinians so schnell wieder verloren gingen wie sie gewonnen worden waren.

Constans II. (641-668) mit Constantin IV. Solidus, Syrakus. Aus Auktion Gorny & Mosch 244 (2017), 634.

Hauptstadt des byzantinischen Reichs

Der Süden Italiens war den byzantinischen Herrschern immer noch so wichtig, daß Kaiser Constans II. im Jahre 660 die merkwürdige Entscheidung treffen konnte, die Hauptstadt seines Reichs von Konstantinopel nach Syrakus zu verlegen. Warum er dies tat, darüber können wir nur Vermutungen anstellen. Der Kaiser hatte sich so unbeliebt gemacht, daß die feindliche Überlieferung jedes tatsächliche Geschehen überdeckt. Wir wissen, daß unter Constans das Ostreich schwer von den expandierenden Arabern bedrängt wurde. 

Constans II. (641-668). Follis, Syrakus. Aus Auktion CNG, Triton 8 (2005), 1383.

Armenien und Zypern gingen dem byzantinischen Reich unter seiner Herrschaft verloren. Und durch den Seesieg der Moslems bei Phoinix im Jahre 655 hatte sich gezeigt, dass die arabische Flotte nun auch der byzantinischen überlegen war. Vielleicht beschloss der Kaiser in dieser Situation, den Osten aufzugeben, um die Besitzungen des Westens zu schützen. Denn auch dort drohte eine Eroberung. 652 hatten arabische Schiffe bereits nach Sizilien übergesetzt und Syrakus zerstört.

Der antike Tempel der Athena in Syrakus, der in eine Kirche umgewandelt wurde. Der Beginn der Bauarbeiten könnte durchaus mit der Herrschaft des Constans in Syrakus in Verbindung gebracht werden. Foto: KW.

Constans zog mit einem großen Heer in den Westen. Rom kam als Hauptquartier nicht mehr in Frage. Auch wenn der Papst den Kaiser freundlich begrüßte, wird er ihm klargemacht haben, dass er in seinem Kirchenstaat nicht bereit war, die Macht zu teilen. So wählte Constans Syrakus als Ausgangsbasis. In dieser reichen Stadt erwartete er am ehesten einen Angriff der Moslems.

Constans II. (641-668). Semissis, Syrakus. Aus CNG, Auktion Triton 13 (2010), 1666.

Die Bevölkerung Siziliens trug schwer an der kaiserlichen Last. Schließlich musste nicht nur ein Heer, sondern der gesamte Hofstaat mit all seinen Beamten ernährt werden. Die Ausbeutung durch die kaiserlichen Steuereintreiber soll die Bauern in den Ruin getrieben haben. Die zeitgenössischen Chronisten mochten Constans nicht, so kann man sich durchaus die Frage stellen, ob all ihre Behauptungen wahr sind. Sie schreiben, dass sich Ehemänner als Sklaven verkauften und ihre Frau in die Prostitution schickten, nur um die Steuern zu begleichen. Dies mag übertrieben sein. Sicher ist aber, dass die steuerlichen Belastungen nach der Ankunft des Kaisers in ungewohnte Höhen kletterten. So werden die einfachen Menschen wohl aufgeatmet haben, als ein griechischer Diener den großen Kaiser 668 im Bad mit einer Seifenschale erschlug.
Die Steuereintreiber des Kaiser Constans hatten die byzantinische Herrschaft auf Sizilien derart unbeliebt gemacht, dass es zu einer Rebellion kam. Die wurde vom Nachfolger des Kaisers sofort niedergeschlagen, dann verlegte er seinen Regierungssitz wieder nach Konstantinopel und stationierte lediglich eine große Streitmacht in den Festungen Unteritaliens und Siziliens, um das Land gegen eine Eroberung durch die Araber zu sichern. 

Leo III. (717-741). Solidus, Syrakus. Aus Auktion Gorny & Mosch 170 (2008), 3075.

Diese Festungsmacht wurde weiterhin mit byzantinischen Solidi bezahlt, die zum Teil auf Sizilien geprägt wurden.
Es folgte eine Periode relativen Friedens. Man arrangierte sich vor Ort. Schon zu Beginn des 9. Jahrhunderts scheinen arabische Kaufleute in Sizilien unbehelligt ihren Geschäften nachgegangen zu sein. Und 805 unterzeichnete ein byzantinischer Statthalter von Sizilien einen Vertrag mit dem aglabidischen Herrscher von Tunis, und das ohne seinen Kaiser in Konstantinopel um Erlaubnis zu bitten.

Lesen Sie in der nächsten Folge, wie die Araber Sizilien eroberten.

Alle Folgen der Serie finden Sie hier.

Für die Geschichte Sizilien in der Antike empfehlen wir Ihnen unsere Serie „Sizilianisches Mosaik“.

Und wenn Sie mehr Bilder aus Sizilien sehen wollen, empfehlen wir Ihnen unsere Serie „Blühendes Sizilien“.