Numismatisches Nordspanien – Teil 3

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von Ursula Kampmann

9. August 2012 – Wissen Sie, welches europäische Land nach der Schweiz das gebirgigste ist? Österreich? Vergessen Sie’s! Es ist Spanien. Und in diesem gebirgigen Land steht nebenbei auch noch die weltweit besterhaltene römische Stadtmauer. Begleiten Sie uns auf unserer 3. Etappe zu den Picos de Europa und nach Lugo.

Ostermontag, 9. April 2012
Um 7.00 läutete der Wecker laut und unerbittlich. Das war der Zeitpunkt zu bereuen, dass wir heute früher los wollten, um bei dem schönem Wetter einen Blick auf die Picos de Europa zu werfen. Direkt hinter Covadonga führt eine schmale Passstraße auf rund 1.100 Meter, von wo aus man die prachtvollen, schneebedeckten Gipfel mit ihren rund 2.500 Höhenmetern sieht.

Über den Wolken: Die Passstraße zu den Picos de Europa. Foto: KW.

Die bewusste Passstraße ist theoretisch ab 10.00 für den Individualverkehr geschlossen, was eine ausgesprochen sinnvolle Idee ist. Trotz der Tatsache, dass Spanien nach der Schweiz das gebirgigste Land Europas ist, gewinnt man den Eindruck, die meisten Spanier würden Berge nur aus dem Fernsehen kennen. Bei der Fahrt über schmale Straßen bevorzugen sie die Straßenmitte, was es manchmal etwas schwierig macht, an ihnen vorbeizukommen.

Ein spanischer Bergsee. Foto: KW.

Wir hatten Glück: Um halb zehn war noch niemand unterwegs. So kamen wir fast allein zu dem unteren der beiden Bergseen. Das Panorama war überwältigend. Und es unterstrich, warum die Moslems die aufständischen Asturier in Ruhe ließen. Was sollten ein paar widerspenstige Viehtreiber in einer kargen Gegend wie dieser schon anrichten?
Wir liefen etwa eine Stunde um den See herum. In der Zeit füllten sich die Parkplätze. Wahre Völkerwanderungen bewegten sich um den einen und um den anderen See. Eine durchgehende Kolonne von Autos und Wohnmobilen schlich aufwärts und fand es höchst ungemütlich, als wir ihnen mit unserem Auto auf der Rückfahrt von oben entgegenkamen.

Ein Blick auf den Atlantik. Foto: KW.

Wie auch immer, der Ausflug hatte sich gelohnt. Nun ging es entlang der Küstenstraße weiter in Richtung Westen. Mit Genugtuung stellten wir fest, dass unser Reiseführer recht behalten hatte: Es war eine eindrucksvolle Landschaft. Die Berge reichten fast bis an die Küste.
Etwa auf der Hälfte des Weges machten wir Rast an einem Kap. Wir kochten Tee auf einer steilen Klippe, über der ein Leuchtturm thronte und bewunderten spanischen Tourismus. Man kommt, steigt aus – ohne Motor oder Radio auszuschalten, schießt ein Foto, guckt noch ein bisschen in die Landschaft (selbstverständlich ohne auch nur einen Meter nach links oder rechts zu gehen), steigt ein und fährt weiter.

Der Parador von Vilalba. Foto: KW.

Unser heutiges Ziel war der Parador in Vilalba, dessen Kern ein Burgturm aus dem 15. Jh. ist. Auch hier gab es früher eine Station auf dem Jakobsweg. Die Stadt wurde sogar immer beliebter, weil man hier den Weg abkürzen konnte und nicht über Lugo laufen musste.

In den Straßen von Vilalba. Foto: KW.

So weit die Geschichte. Die Realität vor Ort hat nichts damit zu tun. Eigentlich tut es uns gut, einmal so einen Ort zu sehen, in dem alles von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten spricht, die es in Spanien gibt. Die künstliche Umgebung des Tourismus existiert hier nicht. Eine triste Hauptstraße führt an billigen Geschäften vorbei. Es gibt viele verfallene Häuser und Lücken in der Bebauung. An jedem dritten, vierten Haus sieht man Schilder, dass etwas zu kaufen sei. Romantisch kann man das wahrlich nicht nennen.
Nur ein paar Hundert Meter weiter steht ein gigantischer Neubaukomplex aus modernster Architektenhand. Und irgendwo dazwischen bleiben die Bewohner der Stadt auf der Strecke. Viele Alte, auffällig viele Behinderte, ein paar Buben mit Fußball. Tätiges Leben oder gar ein belebtes Straßencafé, nein so etwas haben wir hier nicht gefunden. Die Stadt macht einen deprimierenden Eindruck. Ihr Bürgermeister hat sicher keinen leichten Job.

Im Turm des Paradors. Foto: KW.

Am Abend haben wir im Parador gespeist. Natürlich erst, wie in Spanien üblich, um 20.30. Die Essenszeiten weichen stark von dem ab, was wir in Deutschland gewohnt sind. Mittag von 13 bis 16 und das Abendessen beginnt allerfrühestens um 20.30. Spanier kommen um diese Zeit natürlich noch nicht. Wir Touristen bleiben bis etwa zehn Uhr völlig unter uns.
Die Küche in Nordspanien ist ein Gedicht: Viel Wurst- und Fleischwaren als Vorspeise, viele verschiedene Meeresfrüchte als Hauptspeise. Der Küchenchef in Vilalba ist für seine feinen Kombinationen berühmt. Und ich gebe zu, die Papaya zum Kabeljau waren ein Gedicht. Genauso das Halbgefrorene aus dem heimischen St. Simon, einem kegelförmigen Käse, den es in einer buttrigen und einer geräucherten Form gibt. Dazu ein spritziger Weißwein aus der Gegend: Nüchtern waren wir nicht mehr, als wir von unserem Schlemmermahl aufstanden.
Die Paradores sind übrigens stolz darauf, lokale Produkte zu verarbeiten. Welche Gerichte in einer Gegend lokaltypisch sind, werden auf der Karte extra bezeichnet. So kann man auf angenehme Art und Weise eine kulinarische Entdeckungstour unternehmen.

Dienstag, 10. April 2012
Wir waren innerlich völlig überzeugt gewesen, dass sich das schöne Wetter halten würde. Aber erstens kommt es anders… Nun, als wir aufwachten, regnete es. Die Leute liefen mit riesigen Schirmen herum, und ich fing an, mich zu ernsthaft fragen, warum ein gutes Drittel der zum Verkauf stehenden Produkte in den Parador-Boutiquen mit Regen in Verbindung steht: Regenjacken, Regenhüte, Regenschirme usw. Könnte es etwa sein, dass Galizien deshalb so grün ist, weil hier das Wasser so reichlich vom Himmel kommt?

Die römische Stadtmauer von Lugo. Foto: KW.

Wie auch immer. Unser Weg führte uns nach Lugo, dem antiken Lucus Augusti. Ursprünglich hatte hier ein Militärcamp gestanden, das 13 v. Chr. von Paulus Fabius Maximus eingerichtet worden war, um den Norden Spaniens zu sichern. Natürlich hatten hier schon vorher Menschen gelebt, Kelten aus dem Stamm der Capori. In den nächsten Jahrzehnten entstand hier das Zentrum eines von drei conventi, also Gerichtsbezirken, in Galizien.

Lageplan von Lugo. Luis Miguel Bugallo Sánchez (Lmbuga) / Wikipedia.

Lugo und seine Umgebung war für die Römer von enormer Wichtigkeit, da hier Gold abgebaut wurde. Und vielleicht war das der Grund, warum die Stadt auch unter den Sueben und den Visigothen ihre Bedeutung behielt. Der Niedergang kam erst mit der arabischen Eroberung zwischen 713 und 740. Die römischen Stadtmauern aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. wurden in dieser Zeit nicht als Steinbruch genutzt, sondern dienten beim Wiederaufbau der mittelalterlichen Stadt im 10. Jahrhundert als Befestigung. Jahrhunderte lang begrüßten die gewaltigen Stadtmauern die Jakobspilger, wenn sie hierher kamen, um die Reliquien des hl. Froilán anzubeten. Heute muss man sich erst durch unendliche Vorstädte durcharbeiten, um zur vollständigsten erhaltenen römischen Stadtmauer des Imperiums zu kommen, die seit 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.

Auf der Stadtmauer. Foto: KW.

Wir sahen sie sofort. Was sich allerdings vor uns verbarg, war ein Parkplatz. Lugo versteckt seine Parkgaragen nämlich ausgezeichnet. Das ausgefeilte Parkleitsystem, das einen permanent in die falsche Richtung führt, ist dabei eine enormer Hilfe. Endlich hatten wir den Parkplatz gefunden, den Schirm ausgepackt und im Nu waren wir auf der Stadtmauer.

Ein Blick von der Stadtmauer auf die verglasten Balkone. Foto: KW.

2.117 Meter lang ist der Weg über die Mauer mit ihren 71 Türmen. Auch wenn sich keine Touristen sehen ließen, waren wir nicht allein, denn die Einwohner von Lugo benutzen diesen dem Verkehr entzogenen Spazierweg als Promenade, Hundeklo und Trainingsstrecke. Während der Regen friedlich auf uns herabrieselte, machte ich mir so meine Gedanken. Warum z. B. gibt es in diesem Land kaum Balkone, dafür jede Menge verglaster Wintergärten? Ein Blick auf die Klimatabelle belehrte mich später, dass es im galizischen April durchschnittlich 13 Regentage hat. Na, die haben wir ja fast schon abgearbeitet.

Der ehemalige Hochaltar der Kathedrale jetzt im Querschiff. Foto: KW.

Auch die Kathedrale ist in Lugo sehenswert mit ihrem alten Hochaltar des 16. Jahrhunderts in den Seitenkapellen. Man muss schon zweimal hinschauen, um zu merken, dass man in einer ursprünglich romanischen Kirche steht, die mit barockem Geschmack modernisiert wurde.

Erlaubnis für einen Kelten, ein Gasthaus einzurichten – falls ich den spanischen Text richtig verstanden habe. Foto: Luis Miguel Bugallo Sánchez (Lmbuga) / Wikipedia.

Richtig spektakulär war dann das Provinzialmuseum (Fotografieren leider strengstens verboten, doch Wikipedia füllt die Lücke). Dabei dachte ich zuerst eigentlich mehr daran, dass es innen trocken sein würde. Wir arbeiteten uns durch galizische Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, durch hiesigen Schmuck, ein paar mehr oder weniger spektakuläre Ausgrabungen und immerhin fünf gefüllte Münzvitrinen.
Doch die überwältigende Privatsammlung von Alvaro Gil, die als Dauerleihgabe zu sehen ist, haben wir erst zum Schluss entdeckt. Es handelt sich um eine Schatzkammer voll mit goldenen Torques, teilweise von enormer Größe. Dazu Goldbarren aus der Gegend und anderer Goldschmuck. Uns blieb einfach nur der Mund offen. Fotos gibt es keine (siehe oben). Ich kann jedem nur raten, sich diese Pracht selbst anzusehen. Die Bilder hier und hier im Internet sind nur ein kleiner Vorgeschmack.

Ein Modell der keltischen Siedlung von Viladonga. Foto: KW.

Von Lugo aus fuhren wir in Richtung Norden, um das in meinem Reiseführer in einer Fußnote erwähnte keltische Castro von Viladonga zu besichtigen. Erwartet hatten wir nichts (schließlich war kurz vor 14.00, also der Zeitpunkt, zu dem normalerweise alle Museen in Spanien für die Siesta schließen). Doch dann war in Viladonga tatsächlich nicht nur die Ausgrabung offen und zugänglich. Das damit verbundene Museum war offen, ein kleines Juwel und eingerichtet nach den neuesten Erkenntnissen der Museumspädagogik mit einer Unzahl von beeindruckenden Modellen, Animationen und Rekonstruktionszeichnungen.

Kleiner Münzhort von Bronzen des 4. und 5. Jh. n. Chr. Foto: KW.

Etwa 300 bis 500 Personen sollen laut den dortigen Angaben in dem kleinen Fort zu seiner Blütezeit gelebt haben. Von etwa 50 v. Chr. bis 450 n. Chr. war der Ort dauerhaft besiedelt. Woher man das weiß? Nun in Viladonga wurden jede Menge römischer Münzen gefunden, die man in einer aufwändigen Publikation veröffentlicht hat und die sogar an der Museumskasse zu kaufen war (was wir uns natürlich nicht verkneifen konnten).

Eingang in das kleine, von einem hohen Erdwall geschützte Dorf. Foto: KW.

Danach gingen wir in die vorbildlich restaurierte Grabung. Es hatte zu regnen aufgehört, so dass wir die großartige Fundamentreste bei fast schönem Wetter genießen konnten.
Das kleine Dorf war mit einem vielleicht 7 bis 8 Meter hohen Erdwall befestigt, davor gab es Gräben und Vorwerke, die es einem Feind – Mensch oder Tier – schwer machten, die Bewohner zu überfallen.

Ein Blick auf die Grabung. Foto: KW.

Die Besiedlung ist in mehrere Insulae aufgegliedert, zwischen denen sich eine Art Straße hindurchschlängelt, dazu ist parallel zum Wall eine bebauungsfreie Zone, die wohl auch dazu diente, um von einem Gebäude zum nächsten zu kommen. Die Gebäudegrundrisse sind hauptsächlich rund oder oval, manche viereckig. Dank der vielen Animationen im Museum fiel es nicht schwer, sich das Leben in diesem keltischen Dorf vorzustellen.

Bemooste Bäume. Foto: KW.

Zusätzliche Attraktion war die schöne Flora. Die Wiesen waren mit kleinen, wilden Narzissen übersäht. Die Bäume trugen alle lange Bärte von Moos, ein Zeichen dafür, wie rein hier die Luft ist (und wahrscheinlich, wie viel Feuchtigkeit ständig aus dieser Luft zu greifen ist).

Wir überlegten kurz, ob wir das schöne Wetter ausnutzen sollten, um nach A Coruna zu fahren. Aber dann waren wir doch zu müde und beschlossen, noch einmal die sagenhafte Küche unseres Hotels zu testen, um uns dann zu erholen. Ob das ein Fehler war? Jedenfalls entnehmen wir dem Wetterbericht, dass ein neues Tief im Anzug ist und morgen mit dauerhaften Regenfällen gerechnet werden muss. Wie auch immer. Es wird schon nicht so neblig werden, dass wir den berühmten römischen Leuchtturm von Corunia nicht sehen.

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