Numismatisches Tagebuch einer Reise quer durch Griechenland – Teil 10

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von Ursula Kampmann

8. September 2011 – Amphipolis und Philippi stehen in der 10. Folge auf dem Programm. Es waren einst unendlich reiche Städte, deren Bürger vom Handel mit Gold, Silber und Bauholz lebten…

26. Tag, 6. Juli 2011, Amphipolis und Philippi
Einen weiteren Tag blieben wir in unserem Quartier bei Kavala, um die beiden in der Nähe gelegenen Ausgrabungen von Amphipolis und Philippi zu besuchen.

Das Löwenmonument von Amphipolis. Foto: KW.

Das am häufigsten abgelichtete Fotomotiv von Amphipolis ist der große Löwe, der direkt neben der Hauptstraße steht. Seine Bruchstücke wurden während des Balkankriegs 1912/3 entdeckt und 1936 wieder zusammengesetzt. Man bringt das Löwenmonument mit Laomedon, Alexanders Flottengeneral, in Verbindung, der zwar aus Mytilene stammte, aber in Amphipolis das Bürgerrecht besaß. Er gehörte zu den ältesten Freunden Alexanders und begleitete ihn während seiner Verbannung vom makedonischen Königshof. Nach dessen Tod erhielt Laomedon Syrien, das er jedoch nicht zu halten vermochte. Wir wissen noch, daß er sich dem geächteten Alketas anschloß, doch weiter ist von ihm nichts überliefert.

Blick auf das Museum von Amphipolis. Foto: KW.

Nur wenige Touristen schaffen es bis in das bemerkenswerte Museum von Amphipolis, mit dem wir ganz eigenartige Erinnerungen verbinden: Als wir 2004 in Amphipolis waren, gab es das Museum schon. Wir wurden relativ lieblos an der Kasse abgefertigt, weil ein lokaler Potentat hereinkam, um „seine“ Touristen – zwei unauffällige, junge Leute, die verschüchtert durch das Museum schlichen – hierher zu begleiten. Während nun die beiden sich die Sehenswürdigkeiten ansahen, wußte unser Potentat nichts mit sich anzufangen.

Blick in das Museum von Amphipolis. Foto: KW.

Er wanderte gelangweilt durch die Räume, zündete sich eine Zigarette an, rauchte genußvoll und hielt dann seinen glimmenden Zigarettenstummel in der Hand. Aschenbecher waren nicht vorgesehen. Nun, was tat er? Er drückte die Zigarette an einer der Statuen aus und warf den Stummel in die Ecke. Während normalerweise die Aufsichten schon zu rufen beginnen, wenn man gegen die vom Rundgang vorgesehene Richtung geht (ganz zu schweigen davon, wenn man ein unerlaubtes Foto mit Blitz macht), übersahen sie dies geflissentlich.
Eigentlich hatten wir uns damals geschworen, nie wieder nach Amphipolis zu fahren. Doch diesmal machten die freundlichen Aufsichten vieles wett. Es ist unglaublich, wie stark die Stimmung in einem Museum von diesen meist unterbezahlten und wenig beachteten Leuten abhängt. Der Kurator dagegen interessiert einen normalen Besucher nicht im Geringsten.

Amphipolis. Tetradrachme, ca. 369/8 v. Chr. Apollon. Rv. Tellerfackel. Aus Auktion Gorny & Mosch 190 (2010), 117.

Aber zurück zum antiken Amphipolis. Seine Münzen mit dem Frontalporträt des Apollon gelten als der Höhepunkt antiker Stempelschneidekunst. Und Amphipolis gehörte in der Antike zu den wichtigen Städten Nordgriechenlands. Bekannt wurde es zunächst unter dem bezeichnenden Namen Ennea Hodoi (= Neunwege). Es lag also an einem wichtigen Kreuzungspunkt der Straßen, an dem immer wieder Strategen eine Festung besitzen wollten.

Amphipolis. Obol, 420-357. Junger Mann. Rv. Fisch. Aus Auktion Gorny & Mosch 186 (2010), 1224.

Schon der milesische Tyrann Aristagoras hätte hier gerne nach seiner Flucht vor den Persern 497 ein neues Hauptquartier gehabt. Die Edonen hatten etwas dagegen und erschlugen ihn. Die Perser sollen dann 480 eine Brücke gebaut und als Brückenopfer je neun einheimische Jungen und Mädchen lebendig begraben haben. 475 kamen die Athener. Sie waren ausdauernder. Nach verschiedenen gescheiterten Versuchen gelang es unter Perikles, eine athenische Kolonie bei Ennea Hodoi einzurichten. Sie erhielt den Namen Amphipolis und war für die Athener ein ausgezeichneter Ausgangspunkt um das Umland auszubeuten.

Demetrios Poliorketes. Tetradrachme, geprägt in Amphipolis, 289/7. Aus Auktion Gorny & Mosch 196 (2011), 1424.

Im Peloponnesischen Krieg war Amphipolis heiß umkämpft. Schließlich bezog Athen von hier das rüstungswichtige Holz, mit dem es seine Schiffe baute. Und deshalb verdankt die Geschichtsschreibung der Stadt eines ihrer größten Werke. Der Historiker Thukydides hatte als Anführer der Flotte beim Schutz von Amphipolis versagt und wurde deshalb verbannt, was ihm viel Zeit gab, ein gewisses Buch zu schreiben…
Nach dem Krieg weigerte sich Amphipolis, unter die Oberherrschaft Athens zurückzukehren. Es blieb unabhängig, bis Philipp die Stadt in sein Reich eingliederte. Bis zum Ende des makedonischen Reichs war Amphipolis ein wichtiges Zentrum, was man auch an den vielen Münzen der makedonischen Könige sehen kann, die hier geprägt wurden. Amphipolis sah die Ermordung der Roxane und ihres kleinen Alexanders IV. sowie die Siegesfeier von Aemilius Paullus über Perseus. Wir wissen aus archäologischen Quellen noch von einer Blüte in frühbyzantinischer Zeit, doch irgendwann verdrängte Thessaloniki Amphipolis an Bedeutung, so daß es die Ruine wurde, als die wir es kennen.

Silbernes Ossuarium mit goldenem Lorbeerkranz. Foto: KW.

Das Museum von Amphipolis hat viel zu bieten, darunter einige sehr bemerkenswerte Grabfunde, wie dieses silberne Ossuarium, das man aus für den Besucher unerfindlichen (aber vielleicht durchaus existenten) Gründen mit dem Spartaner Brasidas in Verbindung bringt. Dieser Brasidas hatte im Peloponnesischen Krieg Amphipolis den Athenern abgenommen. Er war in der eroberten Stadt derart beliebt, daß er nach seinem Tod, den er bei der Verteidigung von Amphipolis gegen die Athener gefunden hatte, als Gründer-Heros gefeiert wurde.

Halskette. Foto: KW.

Aber auch beim Schmuck muß man ganz genau hinsehen, um seine Schönheit zu erkennen.

Heraklesknoten. Foto: KW.

Man bewundere nur diesen unglaublichen Heraklesknoten. Diese Zierform hat ihren Namen entweder von der Art, wie der Held die Schlangen nach ihrem Mordversuch verknotete oder danach, wie er sein Löwenfell trug. Heute heißt der Knoten langweilig Kreuzknoten.

Tetradrachme aus Amphipolis. Ist sie wirklich echt? Foto: KW.

Münzen gab es natürlich auch. Im oberen Stock waren sogar etliche Vitrinen aufgestellt, in denen die Münzen der umliegenden griechischen Städte gezeigt wurden. Im Hauptraum präsentierte eine Vitrine die Gepräge aus Amphipolis. Nein, keine sah so aus, daß ich sie angekauft hätte. Gott sei Dank verhütete das Plastik eine genauere Untersuchung, sonst hätte man vielleicht festgestellt, daß es sich bei der einen oder anderen um einen Guß handelte.

Das Grabungsgelände hoch über dem Strymon, dahinter das Meer. Foto: KW.

Hoch über der Stadt, hinter dem Sportplatz, fanden wir mehr durch Intuition als durch Wegweiser ein Ausgrabungsgelände, das ein freundlicher älterer Herr bewachte, dem Enkel und Hund Gesellschaft leisteten. Er war ganz begeistert, daß jemand kam, drückte uns eine griechische Broschüre in die Hand und entschuldigte sich sogar noch, daß er sie nur auf Griechisch habe! Eintritt, nein, den wollte er nicht.

Plan der Grabung von Amphipolis. Foto: KW.

Und so machten wir uns auf in ein gigantisches Grabungsgebiet, in dem etliche byzantinische Basiliken gefunden worden waren.

Basilika A, B, C oder D – ich habe den Überblick verloren. Foto: KW.

Es gab hier oben vier Basiliken und einen frühchristlichen Zentralbau. Es war alles super beschrieben und mit dem Plan in der Hand leicht nachvollziehbar (das Griechische störte überhaupt nicht), aber beim Sichten der Fotos stelle ich fest, daß die vier Basiliken sich mir nicht so eingeprägt haben, daß ich ihre Fotos noch auseinanderhalten könnte.

Eine aus Säulentrommeln gebaute Apsis. Foto: KW.

Mehr beeindruckt hat mich jedenfalls der Erfindungsreichtum der Baumeister, wie sie aus klassischen Säulen eine erstklassige frühchristliche Apsis gestalteten.

Frühchristlicher Zentralbau. Foto: KW.

Leichter ist dieser frühchristliche Zentralbau zu erkennen. Sein Grundriß war einzigartig. Doch trotz des spannenden Grabungsgeländes wurden wir immer unruhiger. Schließlich hatten wir am Vortag eindringlich gelernt, daß griechische Grabungen um 15.00 schließen und wir wollten doch noch nach Philippi, also im Schweinsgalopp raus aus der Grabung, rein ins glühend heiße Auto und auf zum nächsten Ziel.

Krenides. AE, 360-356. Herakles. Rv. Keule und Bogen. Aus Auktion Gorny & Mosch 191 (2010), 1240.

Dort, wo heute Philippi liegt, gab es in der Antike mehrere Siedlungen, da die Gegend für ihren Reichtum an Gold, Silber und Bauholz legendär war. Bekannt sind Krenides und das von athenischen Verbannten angelegte Daton. Es wurde unter Führung von Kallistratos 360/59 v. Chr. gegründet und könnte die Münzen geprägt haben, auf denen sich die Siedler als Thasier auf dem Festland bezeichnen.

Philippi. Hemidrachme, 356-345. Kopf des Herakles. Rv. Dreifuß. Aus Auktion Gorny & Mosch 195 (2011), 125.

356 sahen sich die Siedler von Thrakern bedroht und baten Philipp II. um Hilfe. Er baute die Stadt zur Festung aus und benannte sie nach sich selbst in Philippoi um. Recht viel wissen wir nicht über die Geschichte der Stadt in hellenistischer Zeit. Irgendwann waren jedenfalls die Bergwerke erschöpft. Unter den Römern beruhte die einzige Bedeutung Philippis darin, daß hier eine Station der Via Egnatia lag.

M. Iunius Brutus. Denar, 42 v. Chr. Kopf des Brutus. Rv. Pileus zwischen zwei Dolchen. Cr. 508/3. Aus Auktion Künker 124 (2007), 8483.

Die Lage an eben dieser Via Egnatia machte Philippi zu einem der Orte, an denen Weltgeschichte entschieden wurde (und Shakespeare tat mit seinem „Bei Philippi sehen wir uns wieder!“ noch etwas dazu, um diesen Schlachtplatz im kollektiven Gedächtnis der Menschheit zu verankern). Hier kämpften die Anhänger von Marc Anton und Octavian gegen die Caesarenmörder. Wir wissen, wie es kam. Brutus und Cassius verloren. Cassius beging noch in Philippi Selbstmord, Brutus ein bißchen später.

Philippi. Bronze, 1. Hälfte 1. Jh. n. Chr. Victoria. Rv. Drei Feldzeichen. Aus Auktion Künker 124 (2007), 8705

Danach gründeten die Sieger hier eine Kolonie für einige Legionsveteranen, der sie den Namen Colonia Victrix Philippensium verliehen. Die Stadt blühte und gedieh, und das so sehr, daß sich ein kleiner Wanderprediger namens Paulus nach Philippi wandte, um die erste christliche Gemeinde auf europäischem Boden zu gründen. Allerdings scheint er an ihr nicht nur Freude gehabt zu haben, denn in seinem Brief an die Philipper muß er seine Gemeinde ziemlich energisch zur Eintracht mahnen. Dem Apostel Paulus verdankte Philippi übrigens seine Bedeutung als Pilgerzentrum in byzantinischer Zeit. Darum wurde die Stadt trotz der Verheerungen, die die Völkerwanderung anrichtete, immer wieder aufgebaut. Erst im 14. Jh., nach der Eroberung durch die Türken, verödete die Siedlung.

Das Theater von Philippi. Foto: KW.

Wir waren gefahren wie die Wilden, um rechtzeitig in Philippi zu sein. Doch wir hätten es gar nicht so wild treiben müssen: Die Grabung hatte bis zum Abend offen. Nur das (neue) Museum wurde wie üblich um 15.00 geschlossen. Das war knapp. Wir passierten also im Schweinsgalopp das prachtvolle Theater, das wohl eines der ältesten Bauwerke von Philippi ist und noch von Philipp in Auftrag gegeben wurde.

Die Münzvitrine des Museums von Philippi. Foto: KW.

Gerade rechtzeitig erreichten wir das gut gekühlte Museum, bei der Hitze ein echter Genuß. Hier begrüßte uns gleich am Eingang eine Vitrine mit Münzen, denen sogar Vergrößerungen beigegeben waren. Aber das blieben nicht die einzigen „numismatischen“ Objekte.

Ohrring in Form eines makedonischen Schildes. Foto: KW.

Hier ein Ohrring in Form eines typischen makedonischen Schildes.

Marktgewicht. Foto: KW.

Und hier ein Gewicht in Gestalt einer Kaiserin, entweder der Eudokia oder der Pulcheria.

Grabstein für einen Gefallenen der Schlacht von Philippi. Foto: KW.

Aber das waren nicht die einzigen Attraktionen. Hier ein datierter Grabstein aus dem Jahr 43/42, der einem Thraker gewidmet ist, der auf der Seite des Rheskuporis kämpfte. Und von dem wissen wir nun, daß er Brutus und Cassius unterstützte.

Tragbare Sonnenuhr. Foto: KW.

Und bei diesem merkwürdigen Objekt handelt es sich um eine Armbanduhr der Antike, eine tragbare Sonnenuhr, deren Reste in Philippi zum Vorschein kamen.

Der Kerker des Paulus. Foto: KW.

Ganz in der Nähe des Museums liegt ein kleiner Raum, der völlig unhistorisch mit einer Gefangenschaft des Paulus in Verbindung gebracht wird, von der wir aus der Apostelgeschichte wissen: „Als aber ihre Herren sahen, daß sie keinen Gewinn mehr erwarten konnten (Paulus hatte einer Magd einen höchst lukrativen Geist ausgetrieben, den die Sklavenbesitzer zum Orakeln vermieteten), ergriffen sie Paulus und Silas, schleppten sie auf den Markt vor die Stadtbehörden, führten sie den obersten Beamten vor und sagten: Diese Männer bringen Unruhe in unsere Stadt. Es sind Juden; sie verkünden Sitten und Bräuche, die wir als Römer weder annehmen können noch ausüben dürfen. Da erhob sich das Volk gegen sie, und die obersten Beamten ließen ihnen die Kleider vom Leib reißen und befahlen, sie mit Ruten zu schlagen. Sie ließen ihnen viele Schläge geben und sie ins Gefängnis bringen, dem Gefängniswärter befahlen sie, sie in sicherem Gewahrsam zu halten. Auf diesen Befehl hin warf er sie in das innere Gefängnis und schloß zur Sicherheit ihre Füße in den Block. Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und sangen Loblieder, und die Gefangenen hörten ihnen zu. Plötzlich begann ein gewaltiges Erdbeben, so daß die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Mit einem Schlag sprangen die Türen auf, und allen fielen die Fesseln ab.“

Basilika B. Foto: KW.

Seiner Bedeutung als Wallfahrtsort verdankt Philippi seine eindrucksvollste Ruine, die schon die Reisenden des 19. Jhts. zum Staunen brachte. Die dreischiffige Basilika mit der (heute fehlenden) Zentralkuppel wurde um 550 erbaut. Sie orientierte sich an der Hagia Sophia.

Die Agora. Foto: KW.

Sie liegt in einem durch eine Straße abgetrennten Grabungsgebiet hinter einem gigantischen Platz, der einst die städtische Agora mit den staatlichen Gebäuden darstellte.

Steinritzung. Foto: KW.

Wer aufmerksam ist, findet hier interessante Details wie diese Ritzzeichnung eines Adlers.

Aber uns fehlte es an Aufmerksamkeit. Es war heiß. Wir waren müde. Die Grabung war im Verhältnis dazu, was wir in Thrakien gesehen hatten, ziemlich überfüllt. Draußen lockte ein Bierchen im Schatten. Und so beschlossen wir nach hause zu fahren, um uns zu erholen. Schließlich hatten wir morgen einen langen Tag vor uns. Wir mußten in den Süden, in Richtung Patras, wo in wenigen Tagen unsere Fähre abfahren würde.

Begleiten Sie uns in unserer nächsten Folge auf unserer Heimreise und sehen Sie mit uns einige Städte, die Weltgeschichte geschrieben haben: Pella, Theben und Delphi.

Wenn sie Amphipolis und Philippi mit eigenen Augen sehen wollen, führe ich im Herbst im Auftrag von Klingenstein eine Reise nach Makedonien. Wenn Sie daran interessiert sind, klicken Sie hier.

Alle weiteren Teile des Tagebuchs finden Sie hier.