Münzensammeln in Hessen

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Die Chronik des „Falls“ Alexander Krombach

17. Juni 2010 – Es begann mit einem Ermittlungsverfahren gegen den 47jährigen Installateur Sylvio Müller. Die Polizei verdächtigte den Mann der Hehlerei in 711 Fällen. Er hatte Münzen angekauft, um sie zu reinigen, und dann über eBay weiter zu verkaufen.
Die Untersuchungen der Polizei zogen 347 Ermittlungsverfahren nach sich. Es handelte sich um all diejenigen, die bei Sylvio Müller Münzen gekauft hatten. Auch ihnen wurde Hehlerei vorgeworfen. Alexander Krombach war einer von ihnen.

15.5.08
Das Kürzel 2963alexanderk wird als einer der eBay-Kunden identifiziert, die bei Sylvio Müller Münzen gekauft haben.

28.7.08
Die Kriminaldirektion Gießen fordert bei eBay genaue Daten zum Account 2963alexanderk an. Dazu gehören Name, Bankverbindung und Email-Adresse sowie alle Verbindungen mit anderen Accounts über eBay. Die Begründung dafür lautet: „Unter dem o. g. Account werden (Waren) verkauft und angekauft, möglicherweise wurden weitere Personen betrogen,…“

28.7.08
eBay liefert alle Auktionsdaten von 2963alexanderk.

8.8.08
Das Amtsgericht Wetzlar erläßt einen Durchsuchungsbefehl wegen Verdachts auf Hehlerei. Die Durchsuchung soll der Auffindung von Beweismitteln dienen. Als Begründung findet sich folgendes: „Der Beschuldigte ist verdächtig, bei E-bay Kulturgegenstände ohne Expertise (Münzen) erworben zu haben. Diese Handlung ist mit Strafe bedroht gemäß § 259 StGB. Der Tatverdacht beruht auf den bisherigen Ermittlungen. Eine vorherige Anhörung des Beschuldigten unterbleibt, da sie den Ermittlungszweck gefährden würde…“

22.9.08
Die für den 18.9.2008 geplante Haussuchung scheitert, weil der Angeschuldigte umgezogen ist. Die neue Adresse wird ermittelt und ein neuer Termin für die Haussuchung anberaumt.

1.10.08
Das Amtsgericht Wetzlar bestätigt den Durchsuchungsbefehl für die neue Adresse.

4.12.08
Die Haussuchung wird von der Kriminaldirektion Gießen durchgeführt. Dabei wurde die gesamte Münzsammlung von 821 Münzen als Beweismittel sichergestellt. Der Eigentümer schätzt seine Sammlung auf 8 bis 13.000 Euro. Das Protokoll hält fest, der Eigentümer habe angegeben, keinen „Herkunftsnachweis“ zu haben. Selbstverständlich liegen bei einzelnen Objekten die Zettel der Münzhandlungen, bei denen sie gekauft wurden. Dazu existieren für einige Stücke auch Rechnungen namhafter deutscher Münzhändler (Künker, Lanz, Ritter u. a.).

17.12.08
Dr. Noeske, J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main, Fundmünzen der Antike, gibt ein erstes Gutachten. Er stellt fest, daß die Münzen echt sich. Es handle sich zumeist um Handelsware der unteren und mittleren Qualität – zum finanziellen Wert möchte er sich nicht äußern. Es handle sich „ausschließlich um Münzen“, „die bei Grabungen in sogenannten Bodenfunden entdeckt werden“. Er ortet die Herkunft der Münzen zumeist im östlichen römischen Reich. Nur wenige Münzen, so seine Aussage, stammen aus westlichen Gebieten. Er macht keine näheren Angaben zu der Herkunft einzelner Münzen wegen ihrer „Vielfalt“. Außerdem gibt Herr Noeske zu, daß die „Verbreitung einzelner Münzen … schon zu damaliger Zeit sehr weitreichend“ war.
Der Polizeibericht hält fest, daß auf eine genauere Begutachtung jeder einzelnen Münze verzichtet wurde, um sie ins Ermessen der Staatsanwaltschaft zu stellen. Ein detaillierteres Gutachten als dieses fand sich in den der MünzenWoche vorliegenden Unterlagen nicht. Dagegen zeigte ein grober Überblick hinsichtlich einer tabellarischen Aufstellung der Sammlung, daß eine Herkunft der Stücke hauptsächlich aus dem Osten gewiss nicht so einfach behauptet werden kann. Das Material ist hauptsächlich römisch, es stammt aus der Kaiserzeit, wobei der Schwerpunkt auf dem 2.-4. Jahrhundert liegt.

23.12.08
Im polizeilichen Zwischenbericht schlägt POK Beisheim, der Sachbearbeiter vor, die Münzen einzuziehen und sie „für Studien- und Ausbildungszwecke“ dem Institut für Geschichte und Archäologie der römischen Kunst sowie Hilfswissenschaft der Altertumskunde, namentlich Prof. Dr. Hans-Markus von Kaenel, zur Verfügung zu stellen. Eine Herausgabe an den Beschuldigten dürfe nicht erfolgen, „da hiermit die Möglichkeit der Weiterveräußerung gegeben ist und somit mit dem Gegenstand eine weitere Straftat begangen werden könnte.“
Als Begründung für die Einleitung eines Gerichtsverfahrens werden folgende Punkte genannt: Der Beschuldigte habe am 8.3.2005 fünf kulturhistorische Münzen ohne erforderlichen Herkunftsnachweis erworben. Er habe ferner 358 weitere kulturhistorische Gegenstände, hauptsächlich Münzen, gekauft, für die er keinen Herkunftsnachweis habe. „Die Herkunft der Münzen konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden. Die Münzen sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit illegal angekauft worden. Es besteht der Verdacht der Hehlerei gem. § 259 StGB.“
Das weitere Vorgehen wird ins Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt.

15.1.09
Die Staatsanwaltschaft schlägt auf Grund dieser Beweislage vor, das Verfahren gegen 1.000 Euro Geldauflage und den Verzicht auf die Münzen einzustellen.

3.2.09
Der Beschuldigte weist den Vorschlag zurück.

13.2.09
Das Ermittlungverfahren wird von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Die Begründung lautet: „Nach Ausschöpfung aller Ermittlungsansätze kann dem Beschuldigten vorsätzliches Fehlverhalten nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden, da die Numismatische Kommission der Länder zu dem Erwerb und der Weiterveräußerung von alten, kulturhistorischen Münzen, ausdrücklich festgestellt hat, dass ein Herkunftsnachweis für die einzelnen Münzen nicht vorgeschrieben ist.
Der Beschuldigte konnte daher – nicht widerlegbar – davon ausgehen, dass auch die Weiterveräußerung und der Erwerb von alten Münzen nicht strafbewehrt ist.“

24.2.09
Alexander Krombach fragt nach der Rückgabe seiner Münzen.

3.4.09
Alexander Krombach fragt erneut nach der Rückgabe der Münzen.

26.6.09
Die Staatsanwaltschaft fragt, ob Alexander Krombach auf die Rückgabe der Münzen verzichtet.

2.7.09
Alexander Krombach tut dies nicht.

18.7.09
Das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, namentlich vertreten durch Dr. Reinhard Dietrich, erläßt eine Weisung zur Sicherstellung der 821 Münzen wegen Gefahrabwehr gemäß § 40 HSOG. Man wolle damit verhindern, daß es zum Tatbestand der Hehlerei käme.
Dr. Dietrich zweifelt nicht daran, daß der Eigentümer seine Münzen nicht rechtmäßig besitze: „Nach dem polizeilicherseits festgestellten Sachverhalt ist aufgrund der gutachterlichen Beurteilung von Herrn Dr. Noeske … erwiesen, dass die Münzen aus dem Ostbalkanraum (Bulgarien, Serbien) stammen. Nur einige wenige Münzen könnten auch aus Deutschland oder Frankreich stammen und es sich ausschließlich um echte, antike Fundmünzen handelt, die nach ihrer Art, Menge und Zusammensetzung nur als Bodenfunde aus verschiedenen Grabungen stammen können. (sic)“
Ausführlich begründet Dr. Dietrich, warum eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nicht einer Sicherstellung der Beweismittel widerspricht. Sein wichtigstes Argument ist, daß die gegen den Betroffenen gerichteten Verdachtsmomente nicht ausgeräumt wurden. Die faktische Enteignung wird folgendermaßen gerechtfertigt: „Die Maßnahme der Sicherstellung ist auch angemessen, da das Interesse der Allgemeinheit, vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit geschützt zu werden, das private Interesse des Beschuldigten überwiegt, wieder in den Besitz von Gegenständen zu gelangen, die ihm nicht gehören. … Sie sind auch nicht in Ihren Rechten verletzt, da Sie eine Berechtigung zum Eigenbesitz nicht nachweisen konnten.“

29.7.09
Der Enteignete klagt vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden gegen das Land Hessen vertreten durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Er hält den Bescheid für rechtswidrig, die zitierten Gesetze für nicht anwendbar. Sein Anwalt, Dr. Diethardt von Preuschen stellt heraus, daß Ordnungsbehörden und die Polizeibehörden nur dann eine Weisung wegen Gefahrenabwehr erlassen können, wenn andere Behörden dies nicht oder nicht rechtzeitig tun könnten. Ein Eilfall liege aber nicht vor, da die Staatsanwaltschaft bereits entschieden habe.

12.8.09
Die Klage wird an das Verwaltungsgericht Gießen überwiesen.

17.8.09
Das Gericht setzt den Streitwert auf 20.000 Euro fest und erhebt 864 Euro Allgemeine Verfahrensgebühr.

24.2.10
Der Gerichtstermin wird auf den 6. Mai 2010 festgesetzt.

28.4.10
Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst legt dem Verwaltungsgericht Gießen eine sechsseitige Begründung seiner Position vor.

6.5.10
Hinsichtlich der Klage Alexander Krombach gegen das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst ergeht folgendes Urteil: „Der Bescheid des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 15. Juli 2009 wird aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.“

Wir können nur hoffen, daß dies der letzte Akt in diesem Drama ist.