Corporate Museums. Wie man Geschichte nutzt, um eine Marke zu bewerben

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von Ursula Kampmann

19. November 2013 – Wissen Sie, wer das Corporate Museum erfunden hat? Nein, es war nicht Walt Disney mit seinen erfolgreichen Themenparks. Die Idee des Corporate Museums geht viel weiter zurück. Einer ihrer frühesten Protagonisten war der junge Unternehmer Legrand.

Alexandre Legrand, der sich später Le Grand schrieb. Foto: KW.

Er überlegte im Jahre 1863, wie er seinen Kräuterlikör vermarkten könnte. Damals gab es unzählige Destillerien, keine idyllischen kleinen Handwerksbetriebe, sondern riesige Fabriken. Ein besonders erfolgreiches Werk befand sich in den Händen der Kartäusermönche bei Grenoble, die unter dem Namen „Chartreuse“ ein exklusives Produkt vertrieben, das sein Prestige der Liebe der Franzosen zum Mittelalter verdankte. Man erinnert sich: Victor Hugos Roman um den Glöckner von Notre Dame hatte im Jahr 1831 eine Begeisterung für die mittelalterliche Kultur ausgelöst, die wir uns heute kaum mehr vorstellen können. Auf höchsten Befehl reiste Prosper Mérimé durch Frankreich, um all die alten Kirchen zu sichern, an denen sich Touristen heute noch erfreuen. Kongenial restaurierte Viollet-le-Duc die halb verfallenen Gebäude und beeinflusste so die Architekten, die ihre neuromanischen Kirchen schufen, von denen die Pariser Sacré-Coeur wohl die berühmteste ist. Und in all dieser Begeisterung für das Mittelalter überlegte Legrand, mit welchem Alleinstellungsmerkmal er sein Produkt auf dem Markt bewerben könnte.
An dieser Stelle beginnt die Erfolgsgeschichte eines Likörs, der es bis in die heutige Zeit geschafft hat, des Bénédictine. Schon sein Name zeigt, wie genial Legrand die Sehnsüchte seiner Zeitgenossen manipulierte. Das Rezept des Chartreuse sollte aus dem Jahr 1604 stammen. Er, Legrand, behauptete nun, höchstpersönlich in der Klosterbibliothek der alten Benediktiner-Abtei von Fécamp ein in der Revolution vergessenes Rezept gefunden zu haben, nach dem die Mönche schon im Mittelalter ihren Kräuterlikör komponiert hatten. Doch damit wurde der Bénédictine noch nicht automatisch zum Lieblingsgetränk der Pariser Gesellschaft. Dies erreichte Legrand über ein Corporate Museum: Er baute seinen Firmensitz in Fécamp im neugotischen Stil und stattete ihn mit mittelalterlichen Versatzstücken aus. Jede Illustration, jedes Ausstellungsstück, jeder Text war auf nichts anderes ausgerichtet, als die Herkunft des Bénédictine aus dem Mittelalter zu untermauern.

Eine Ikone der Werbegeschichte: Der vergöttlichte Bénédictine. Foto: KW.

Fécamp war damals ein modischer Badeort und sehr beliebt bei französischen Adligen und Geschäftsleuten. Ihre Langeweile vertrieben sich die Sommerfrischler mit allerhand Ausflügen, auch in die Ausstellungsräume des Palais Bénédictine, wo sie – leicht benebelt vom Probieren – die erfundene Geschichte des Likörs so lange hörten und lasen, bis sie zur Wahrheit und zum Bestandteil der Marke geworden war.

Warum ich Ihnen diese Geschichte erzähle? Nun, dieser Marketingerfolg aus der Vergangenheit zeigt, wie einfach Geschichte zu manipulieren ist, solange niemand widerspricht. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass Geschichte absolut und unveränderbar ist. Jede Zeit, jede politische, jede soziale Gruppe, ja natürlich auch jede Marke schreibt sich ihre Geschichte selbst. Mittel dazu sind traditionell Schriften und Bücher, Filme und immer öfter Museen, die heute so gar nichts mehr mit den staubtrockenen Vitrinenwüsten des 19. Jahrhunderts zu tun haben.
Auch wenn sich die Numismatik und Geldgeschichte sichtbar schwer tut mit den neuen Errungenschaften der Szenographie: Die Zukunft gehört nicht der Bildungs- und Forschungsinstitution Museum, sondern dem Event, dem Erlebnis, das den Besucher in den Mittelpunkt stellt. Die meisten Kuratoren denken immer noch, wenn sie Münzen mit interessanten Geschichten in eine Vitrine gepackt haben, hätten sie ihre Arbeit getan. Doch damit bleiben sie weit hinter dem zurück, was eigentlich möglich wäre, nämlich die Emotionen unserer Besucher dazu zu nutzen, ihnen die Botschaft mit auf den Weg zu geben, die wir ihnen vermitteln wollen.

Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit im BMW-Museum. Foto: Tamás András Kálmán / Wikipedia. CC 2.0.

Ein Corporate Museum ist nämlich ein Museum, das einen bestimmten Zweck verfolgt. Nicht umsonst bauen die erfolgreichsten Marken auf der ganzen Welt derzeit ihre Corporate Museums. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Ich möchte nur ein paar Auftraggeber der jüngst eröffneten Ausstellungen nennen: BMW, Mercedes Benz, Audi oder Volkswagen, FC Bayern, Borussia Dortmund, der deutsche Fußballbund, BASF mit seinem Lackmuseum, Villeroy & Boch mit einem Keramikmuseum, die Welt von Steiff für Stofftiere, die Dr. Oetker Welt für Kuchen- und Puddingfreunde, der Spielehersteller Ravensburger und viele mehr, darunter auch kleine, ziemlich unbekannte Marken wie der Meerrettich Fabrikant Schamel mit seinem Meerrettichmuseum oder der Marzipanproduzent Niederegger mit seinem Marzipanmuseum in Lübeck.
Warum nun geben all diese erfolgreichen Unternehmen Geld aus, um Museen zu bauen? Liegt ihnen die Weiterbildung der Bevölkerung so sehr am Herzen? Bestimmt nicht. Es geht um etwas ganz anderes. Ein Corporate Museum hat nur noch den Namen gemeinsam mit dem traditionellen Museum. Mit ihren Museen verfügen die Marketing-Teams über ein hervorragendes Werkzeug, um den Besucher emotional enger an die zelebrierte Marke zu binden, den Besucher zum Teil eines großen Ganzen zu machen, ihn in ein Paralleluniversum zu versetzen, in dem sich alles um die Marke dreht. Nicht umsonst werden die Worte „Erlebnis“ und „Welt“ bei der Benennung der Corporate Museums geradezu überstrapaziert. In einer multimedialen, dreidimensionalen Inszenierung wird der Besucher ein bis mehrere Stunden Teil der Produktewelt und verwebt seine eigenen Gefühle aufs Engste mit den Gefühlsassoziationen, die durch den Museumsrundgang ausgelöst werden. Dadurch gelingt es, alle Botschaften viel effektiver im Gehirn des Besuchers zu verankern als dies durch noch so viele Werbespots möglich wäre.
Wer durch die BMW Welt gegangen ist, wird danach überzeugt sein, dass die Begeisterung für technische Innovation die Mitarbeiter von BMW treibt, schon immer getrieben hat und sich mit dem Fahren eines BMWs automatisch auf den Fahrer überträgt. Genauso wie der FC Bayern Fan sich nach dem Besuch der FC Bayern Welt als existentielles und notwendiges Bestandteil der Fußballwelt versteht. Das eigentliche Ziel von BMW und FC Bayern – und von all diesen anderen neuen Museumsbesitzern, nämlich Geld zu erwirtschaften, tritt völlig in den Hintergrund.

Ein Blick in die Dauerausstellung der Münzsammlung des Kunsthistorischen Museums Wiens, eröffnet 1891. Foto: KW.

Die meisten von Ihnen werden eine vage Vorstellung haben, wie man eine traditionelle Ausstellung macht: Man sucht sich ein Thema, recherchiert und illustriert seine Recherchen mit passenden Objekten. Ziel einer gelungen Ausstellung ist es, dem Besucher die Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm ermöglichen, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Bei einem Corporate Museum dagegen ist es genau anders herum. Zunächst muss die Botschaft feststehen, die es vermitteln soll. Erst danach werden die Themen ausgewählt, die dazu dienen, diese Botschaft zu illustrieren. Sie sollen den Besucher nicht zum Denken verleiten, sondern die Botschaft untermalen, die das Marketing Team für die Ausstellung festgelegt hat. Entscheidend für den Erfolg eines Corporate Museums ist es also, die Botschaft zu formulieren – möglichst detailliert, möglichst prägnant.
Und hier sind wir schon bei einem grundlegenden Problem von Zentralbanken und Münzstätten. Unsere Branche scheint es immer noch nicht nötig zu haben, ein Profil ihrer Marken zu erarbeiten. Wir vertreiben ein paar Gedenkmünzen, geben in diesem Zusammenhang auch Pressemeldungen heraus, aber die Arbeit, Münzen, Geldscheine und Währungen mit den Gefühlen zu verbinden, die sich mit einer gut eingeführten Marke verbinden, haben wir noch nicht geleistet.
Dabei wäre dies leicht möglich. Wenige Produkte sind so direkt mit der Gefühlswelt verbunden wie Geld. Das erste Taschengeld, der erste Lohn, der Glückspfennig im Geldbeutel. Wie viele Möglichkeiten hätten wir, die Benutzung von Geld emotional aufzuladen, um endlich gegenüber Kreditkarte und Überweisung zu punkten. Aber das ist ein anderes Thema, das hier zu weit führen würde.

Ein nicht-öffentliches Statement zur aktuellen Eurokrise bei der Fasnacht in Rapperswil / Schweiz. Foto: Roland zh / Wikipedia. cc3.0 Unported.

Nehmen wir also an, ich wollte in der aktuellen Situation als Deutsche Zentralbank in einer Ausstellung Stellung nehmen zur aktuellen Eurokrise, dann wäre es völlig unsinnig, Fakten zum Euro zusammenzutragen, um Schritt für Schritt meinen Beweis zu führen. Ich erinnere mich mit Schrecken an die Ausstellung einer Zentralbank, in der auf großen, eng beschriebenen Tafeln mit Fußnoten exakt beschrieben wurde, wie eine Zentralbank vorgeht, um Inflation zu verhindern. Solche Textwüsten sind kontraproduktiv. Sie verwirren jeden Besucher, hinterlassen den Eindruck des Geheimnisvollen, Unverständlichen und fördern geradezu die Unsicherheit.
Deshalb, wenn es nicht möglich ist, einen komplizierten Inhalt in drei kurzen Sätzen ohne Fremdwörter wiederzugeben, sollte man auf jede intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema verzichten. Im Buchladen findet sich genug gute Literatur. In der Ausstellung aber haben zu lange Texte nichts verloren.
Setzen Sie stattdessen auf Gefühle! Damit erreichen Sie Ihren Besucher direkt und erhalten die Kernbotschaft in seinem Unterbewusstsein auch dann noch lebendig, wenn er längst vergessen hat, was er in Ihrem Museum gesehen hat.
In unserem Fall, also wenn es um die Sicherheit des Euro geht, müsste man eine Botschaft formulieren, die den diffusen Angstgefühlen entgegentritt und dem Besucher das Vertrauen zurückgibt, dass sich auch diese Krise zum Positiven auflösen wird. Ich persönlich würde folgende Botschaft wählen: Deutschland hat immer wieder schreckliche Währungskrisen erlebt. Aber dank der starken deutschen Wirtschaft, ja dank dem Fleiß jedes einzelnen Deutschen hat sich noch jede Krise ins Positive gewandt.
Das Selbstvertrauen, das der Besucher so erlebt, ist besser geeignet als jedes auf den Verstand beschränkte Argument, um Ängste abzubauen.

Wir haben die Botschaft. Kommen wir zum nächsten Schritt, der Auswahl des Zeitraums und der Schwerpunkte. Und hier liegt die Kunst in der Beschränkung. Zu viel Material erschlägt den Besucher und macht die ausgestellten Stücke beliebig. Es ist ein alter Fehler von Numismatikern, ihre Vitrinen mit Münzen zu füllen. Lieber ein einzelnes Stück, großartig inszeniert, als Reihen von ähnlich aussehenden Stücken, die auf den Laien völlig identisch wirken.
Auch beim Zeitrahmen ist die Begrenzung das große Geheimnis. Die meisten Münzausstellungen fangen im 7. Jahrhundert v. Chr. an mit den Elektronprägungen Kleinasiens. Das ist ja ganz hübsch im lexikographischen Sinne. Aber welche Aussage haben diese Münzen für unsere Botschaft? Lassen wir also das ganze historische Altmetall weg und beschränken wir uns auf das Wesentliche, in unserem Fall auf die Zeit, in der das politische Deutschland zu deutschen Nation wurde, also auf die Zeit nach der Reichseinigung im Jahre 1871.

Deutsches Reich. Bayern. Ludwig II. 10 Mark 1873. Foto: Künker.

Die neuen Münzen der ersten einheitlichen und geordneten Reichswährung stehen gleich für zwei emotionsgeladene Begriffe, die wir mit der deutschen Währung in Verbindung bringen können, nämlich Gerechtigkeit und Sicherheit. 1871 bekam Deutschland nämlich zum ersten Mal Geld, bei dem der einfache Arbeiter, der in Pfennigen rechnen musste, nicht gegenüber dem reichen Bürger benachteiligt wurde, der nur mit Gulden und Talern zahlte. Mit dem Dezimalsystem wurde es erstmals in der Geschichte möglich, Kleingeld ohne intrinsischen Wert in wertbeständige Silber- und Goldmünzen umzutauschen, ohne eine hohe Gebühr zu zahlen. Dies gab auch kleinen Leuten die Möglichkeit zu sparen und sich eine Existenz aufzubauen. Der Staat garantierte mit seiner Münzordnung, in der Feinheit und Gewicht der neuen Münzen festgelegt wurde, dass das Ersparte seinen Wert behielt. Im Grunde war damit bereits der Anspruch formuliert, der noch heute für jedes Wirtschaftssystem gilt: Gerechtigkeit – auch wenn man darüber blendend streiten kann, was das ist – und Sicherheit.
Und genau das ist der große Unterschied zur traditionellen Ausstellung: Es genügt nicht, einfach zu sagen, dass es eine Münzreform gab, sondern es geht um die Gefühle, die mit dem alten und dem neuen Geld verbunden waren. Wofür stand der Reichsadler, der bis heute auf deutschen Münzen zu finden ist? Er stand für ein sicheres Geld, das niemand benachteiligte. Auf das man sich verlassen konnte, bis ein deutscher Kaiser sich in den Gedanken verrannte, dass Deutschland einen Platz an der Sonne brauche…

Weimarer Republik. 1000 Mark 1922, überstempelt 1 Million Mark. Foto: MoneyMuseum.

Dies wäre eine zweite typisch deutsche Botschaft: Krieg zerstört. Krieg vernichtet alles, was Menschen geschaffen haben. Im Krieg kann niemand sein Vermögen behalten. Nur im Frieden kann eine Wirtschaft blühen. Dass damit auch wieder implizit auf den Euro Bezug genommen wird, ist klar. Er führt als gemeinsame Währung Europa enger zusammen und verhindert so die schrecklichen Kriege, wie sie das deutsche Währungssystem zweimal zerstörten.
Aus diesem Grunde würde ich, wenn ich die Inflation von 1923 thematisiere, mich nicht auf dieses Jahr der Hyperinflation beschränken, sondern bereits mit dem August 1914 beginnen, als die Reichsbank ihre Pflicht, Banknoten in Metallgeld einzuwechseln, gesetzlich aufhob. Die Folge war eine Inflation, die bereits 1920 jedes Vermögen auf ein Zehntel seines ursprünglichen Wertes reduziert hatte. Die Hyperinflation des Jahres 1923 war damit nur noch eine historische Randerscheinung, denn ob einer nichts hat oder einen Bruchteil von nichts, das spielt keine Rolle mehr.

Käuferschlange vor der Butter-Handlung der Gebrüder Groh in Berlin. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1971-109-42 // CC-BY-SA.

Sinnvoll wäre es, diese Inflation nicht nur in Zahlen zu erzählen. Eine echte Identifikation des Besuchers wird erst möglich, wenn er sich mit den konkreten Lebensumständen einer Familie auseinandersetzen muss, deren Vermögen im Krieg dahingeschwunden ist. Wie viel eindrücklicher sind Krieg und Kriegsfolgen am konkreten Beispiel!

Das Wunder der Renten- bzw. der Reichsmark, die seit dem November 1923 die galoppierende Inflation stoppten, und das Aufblühen der Wirtschaft der 20er Jahre, das wäre ein anderes wunderbares Beispiel.
Ein Numismatiker würde natürlich auf diesen Erfolg sofort die große Weltwirtschaftskrise von 1931 folgen lassen. Im Corporate Museum sind wir dagegen nicht verpflichtet, Rückschläge zu behandeln. Sie werden nur dann thematisiert, wenn sie dazu dienen, die Ausgangsbotschaft zu betonen bzw. durch die Katharsis des Mitleidens eine enge emotionale Verbindung des Museumsbesuchers hervorzurufen. In Fußballmuseen zum Beispiel verzichtet man nicht auf diese gemeinschaftsbildenden Niederlagen. Man denke nur an das Wembley-Tor! Noch heute wird darüber diskutiert, ob bei einer anderen Entscheidung des Schiedsrichters die deutsche Nationalmannschaft nicht doch hätte Weltmeister werden können!
Niederlagen und Scheitern eignen sich dann hervorragend zur Identifizierung mit einem Produkt, wenn sie mit einer gemeinsam erlittenen Ungerechtigkeit verbunden sind, oder es gelungen ist, sich fulminant wieder aus den Trümmern zu erheben.

Umtauschstelle: Auf dem Tisch liegen ausschließlich Scheine; die Münzen behielten erst einmal ihre Gültigkeit. Foto: Bundesarchiv, Bild 147-0739/CC-BY-SA.

Deshalb ist die Geschichte der Währungsreform und der Einführung der deutschen Mark hervorragend geeignet, die Identifikation mit der deutschen Währung zu befördern. Die Fakten sind schon unzählige Male wiederholt worden. Die Bilder gleichen sich. Leere Schaufenster, Schwarzmarkt, lange Schlangen vor den Umtauschstellen, es ist immer dasselbe. Echte Gefühle können Sie damit nicht hervorrufen. Warum erzählen wir nicht eine andere Geschichte. Bei uns in der Familie kursierte die Fabel vom kleinen Milchbuben. Der hatte seit Monaten das Kleingeld gehortet, das er für seine Milchflaschen bekam. Das wurde nicht mit der Währungsreform abgeschafft, sondern blieb erst einmal gültig. Als nun plötzlich wieder Ware in den Schaufenstern war, kaufte der Milchbub sich mit seinen Pfennigen ein neues Motorrad. Besonders die deutschen Münzstätten dürften sich über diese Geschichte freuen. Sie vermittelt den Wert des Kleingelds und ist eine moderne Interpretation des alten deutschen Sprichworts, dass derjenige, der den Pfennig nicht ehrt, den Taler nicht wert sei.

Fassen wir das bisher Gesagte noch einmal zusammen: Für ein Corporate Museum brauchen wir eine Botschaft. Erst nachdem wir diese Botschaft formuliert haben, klopfen wir das geschichtliche Material daraufhin ab, welche Episoden besonders geeignet erscheinen, diese Botschaft zu untermalen. Besonders sinnvoll ist es, die Geschichten neu zu erzählen mit kleinen Episoden möglichst anhand von konkreten Persönlichkeiten, die sich in das Gesamtbild einfügen und eine Identifikation des Betrachters ermöglichen.

Fotomontage aus 50 Pfennig 1950 (Foto: Künker) und einer Trümmerfrau beim Wiederaufbau. (Foto: Deutsche Fotothek df_ps_00000074).

Die nächste Aufgabe ist es, die Objekte passend auszuwählen. Suchen wir zum Beispiel nach einer ikonischen Münze, die für das Wirtschaftswunder steht, wird sich ein Numismatiker vielleicht für Mark und Pfennig entscheiden. Nichts wäre falscher. Denn tiefe Gefühle ruft weder die eine noch die andere Münze hervor.
Was für einen Eindruck macht es dagegen, wenn man die Bildseite des 50-Pfennig-Stückes mit der knienden Frau, die einen Eichenschössling pflanzt, in gewaltiger Vergrößerung auf einen Hintergrund montiert, der eine vom Krieg zerstörte Stadt zeigt! Die große deutsche Eiche gefällt und vernichtet, und trotzdem erhebt sich aus den Ruinen das Wirtschaftswunder der kommenden Jahre.
Wählen Sie für die Ausstellung die Münzen und Motive aus, die wirklich Gefühle transportieren. Und das sind sicher nicht die numismatisch interessanten Stücke, bei denen man lange erklären muss, warum sie interessant sind. Ein gutes Ausstellungsobjekt transportiert das Gefühl ohne Kommentar, wenn es optimal in Szene gesetzt ist.

Ich kann mir vorstellen, dass einige von Ihnen Probleme damit haben, Geschichte lückenhaft und emotional zu erzählen. Sie erinnern sich wahrscheinlich daran, wie oft Geschichte missbraucht wurde und wird, um Unrecht mit historischen Gründen zu bemänteln. Auch ich hätte moralische Bedenken, wenn ich in einem öffentlichen Museum mit öffentlichen Mitteln die Ausstellung eines traditionellen Münzkabinetts nach den Prinzipien des Corporate Museum gestalten sollte. Denn im traditionellen Museum hat diese Form der Ausstellung nichts zu suchen. Sie macht aber durchaus Sinn, wenn eine Zentralbank Ängsten oder falschen Vorstellungen entgegentreten, oder wenn eine Münzstätte sich und ihre Produkte besser vermarkten will.

Man sollte sich also vor der Konzeption einer Ausstellung bewusst sein, was man mit ihr erreichen will. Corporate Museums sind dabei eine neue Interpretation einer alten Idee. Nutzen wir ihre Möglichkeiten, ohne unsere moralischen Verpflichtungen aus den Augen zu verlieren. Solange wir lediglich bewusst aus der Geschichte auswählen, um unsere Botschaft zu untermauern, sind wir nur einer von vielen Historikern, die das gleiche – bewusst oder unbewusst – machen. Denn jede Zeit schreibt ihre eigene Geschichte und wählt ihre eigenen Mittel, um diese Geschichte ihren Zeitgenossen zu vermitteln.