Reisetagebuch einer Numismatikerin durch die Türkei (2009) – Teil 3

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von Ursula Kampmann

16. Februar 2012 – Kennen Sie Antep und sein fabelhaftes Museum mit Mosaiken? Wenn nicht, dann kann ich es Ihnen nur ans Herz legen. Antep ist eine sehr sympathische Stadt, in der man sich als Gast schnell zuhause fühlt. Urfa, das antike Edessa, ist dagegen für allein reisende Frauen eher nicht zu empfehlen. Oder man braucht sehr gute Nerven.

Blick von der Hotelterrasse aus auf die Altstadt von Gaziantep. Foto: UK.

19. Juni 2009 – Gaziantep
Ich habe eine neue Lieblingsstadt in der Türkei. Sie heißt Gaziantep und ist laut unseres schlauen Buchs eigentlich nur wegen ihres neuen Mosaikmuseums einen Aufenthalt wert. Wie sehr sich die Autoren täuschen!

Alexandreia am Issos. Bronze, 2. Jh. v. Chr. Kopf des Herakles. Rv. Zeus. SNG Levante 1834. Aus Auktion Münzen und Medaillen 19 (2006), 39.

Wir fuhren um 12.00 in Antakya ab. Bei unserer Abfahrt war der Bus ziemlich leer. Die meisten Passagiere wurden erst in Iskenderun eingeladen, dem antiken Alexandreia kat’ Isson. Es soll nach dem Sieg bei Issos gegründet worden sein, um das alte Myriandros als Schlüsselfestung zur kilikisch-syrischen Pforte abzulösen.

Alexander der Grosse. Tetradrachmon, Myriandros, 330-325. Kopf des Herakles. Rv. Thronender Zeus, im Feld Münzzeichen Skorpion. Price 3218. Aus Auktion Münzen und Medaillen 10 (2002), 192.

Recht viel mehr habe ich über die historische Bedeutung des Orts nicht herausbekommen. Allerdings ist Geschichte auch nicht das, wofür man sich an diesem Ort interessiert. Iskenderun hat hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Bedeutung dem antiken Antiochia den Rang abgelaufen. Eisen und Erdölveredelung mögen zwar für den vorbeifahrenden Touristen nicht besonders attraktiv sein, aber dafür ernähren sie die Menschen, die in der Stadt leben. Der kleine Halt in Iskenderun war zwar ein ziemlicher Umweg auf dem Weg nach Gaziantep, aber für die Busgesellschaft lohnte er sich. Und uns bescherte er noch einmal die wunderschöne Fahrt über den Paß, der die antike Provinz Syrien mit Kilikien verband.
Vier Stunden dauerte die Fahrt. Um 16.00 kamen wir in Gaziantep an. Unser schlaues Buch hatte uns ein Hotel direkt am Atatürk Boulevard empfohlen. Es hieß, dort würden hauptsächlich deutsche Ingenieure absteigen. Die Zimmer seien groß, es gäbe (oh Attraktion!) eine Duschkabine, und die Dachterrasse sei den Aufenthalt wert. Wir mieteten uns also ein Doppelzimmer, auch wenn man unten in der Rezeption immer wieder fragte, ob wir denn wirklich nicht zwei Einzelzimmer benötigen würden. Man hatte wohl schon die beiden unterschiedlichen Namen auf unseren Pässen registriert. Ja, ja, wir kommen allmählich in den frommen Osten.

Die herausgeputzte Altstadt von Gaziantep wartet auf Besucher. Foto: UK.

Den Nachmittag gingen wir in Richtung Altstadt. Es war überwältigend. Zum ersten Mal sahen wir in der Türkei neue Schilder an historischen Gebäuden, auf denen in drei Sprachen (Türkisch, Arabisch und Englisch) die wichtigsten Details über Baugeschichte und Bedeutung des Gebäudes zu lesen standen. Man erwähnte sogar die erfolgten Restaurierungen: Fast alle 2008. Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt ging, merkte man, daß sich hier ein Bürgermeister bemüht, seine Heimat für die Touristen herauszuputzen. Gaziantep hat durch die phantastischen Funde von Zeugma die Chance bekommen, zu einem Tourismusziel aufzusteigen. Und die Stadt bemüht sich, selbst eine Attraktion zu werden!

Vorläufer des Iuppiter Dolichenus: Der mesopotamische Wettergott Hadad mit Doppelaxt und Blitzbündel. Foto: UK.

Ob Antep wirklich das antike Antiochia am Taurus war? Jedenfalls lag hier in der Nähe die Stadt Doliche, die Ausgangspunkt des Kultes des Iuppiter Dolichenus war. Und sorry, wir haben es auch dorthin nicht geschafft. Die heutige Stadt entstand als Festung nach der Schlacht von Manzikert, nachdem die Seldschuken die Byzantiner vertrieben hatten. Berühmt wurde sie wegen ihrer Besetzung nach dem Ersten Weltkrieg, aber dazu später mehr.
Wir fanden einen gemütlichen Teegarten, in dem wir uns niederließen, um eine kleine Pause zu machen, wir entdeckten für das Abendessen ein modisches Restaurant mit italienischer Küche (allmählich gehen einem die vielen Kebabs auf den Keks) und erlebten immer wieder die türkische Freundlichkeit.

Willkommen beim türkischen Migros. Foto: KW.

Ach ja, ein richtig heimatliches Erlebnis hatten wir noch: Wir gingen in einer Migros einkaufen, ja richtig, in einer Schweizer Migros, aber auf Türkisch. Es gibt hier sogar M Budget, allerdings für 10-Kilo-Kübel Joghurt und ähnliches. Die Türken waren vielleicht pikiert, als wir im Supermarkt anfingen zu fotografieren. Die konnten unsere Begeisterung beim besten Willen nicht verstehen.

Tagebuchschreiben auf der Hotelterrasse. Foto: KW.

Den Abend verbrachten wir hoch über der Stadt auf der Hotelterrasse, die wirklich einmalig ist. Hinter uns saßen tatsächlich Deutsche (wohl Ingenieure). Ich bekam meinen Raki, wir aßen Wassermelone dazu und waren von der Stadt restlos begeistert.
Eine kleine Trübung erfuhr unser herzliches Verhältnis zu Gaziantep am späten Abend. Ich hatte mich im Bad eingeschlossen und saß plötzlich fest. Das Schloß hatte sich so verhakt, daß ich es nicht mehr von innen aufmachen konnte. Ein gräßliches Gefühl! Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich auf dem (ziemlich engen) Klo übernachten müssen, ich wäre wohl erst vom Zimmermädchen am nächsten Tag gefunden worden. So rannte Kurt die Tür ein. Mein Terminator! Nur gut, daß alles hier so windig gebaut ist (so einfach, wie das jetzt klingt, war es aber auch nicht). Es machte einen ziemlichen Krach, das Schloß sprang im hohen Bogen von der Tür ab und ich war wieder frei.

Im Bazar. Foto: UK.

20. Juni 2009 – Ein großartiges Museum
Am Vormittag bummelten wir durch die Altstadt. Hier sah man noch den Wasserverkäufer mit seiner gewaltigen, auf den Rücken geschnallten Kupferkanne und den Simithändler, der auf dem Kopf ein Tablett mit Sesamkringeln trug. Wir kamen noch einmal zur Zitadelle, wollten sie besichtigen und fanden endlich nach langem Suchen den Eingang, allerdings nicht in den Burghof. Die Bewohner von Gaziantep hatten in den letzten Jahren ein neues Museum eingerichtet.

Atatürk inmitten seiner Helfer. Relief im Museum von Antep. Foto: UK.

Gazi-Antep hieß früher einfach nur Antep. Den Ehrennamen „Gazi“ (tapferer Krieger) hatte es sich in den türkischen Befreiungskriegen nach dem ersten Weltkrieg erworben. Nach dem Waffenstillstand von Mudros, der am 30. Oktober 1918 den Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und den Alliierten beendete, marschierte die französische Armee auf Grund einer geheimen Abmachung mit den Briten in Kilikien und dem angrenzenden Südanatolien ein. Am 17. November landeten rund 15.000 Freiwillige zumeist aus der Französisch-Armenischen Legion und besetzten die Häfen. 1919 gelang die Einnahme von Antep, Maras und Urfa, wobei diese Orte wie im Vertrag abgemacht, den Briten übergeben wurden. Der Widerstand gegen die Eindringlinge war von Seiten der einheimischen Bevölkerung erheblich. Kompliziert wurde die Lage dadurch, daß viele Armenier mit den Franzosen zusammenarbeiteten. Bald sahen sich Franzosen und Briten überall von Partisanen umgeben.
Denn in der Zwischenzeit war im ganzen Land die Unruhe gewachsen. Kemal, der damals noch nicht der Atatürk war, hatte die Soldaten zum Widerstand aufgerufen und begonnen, das Land umzuformen und für ein demokratisch regiertes türkisches Volk zurückzuerobern. Wir können hier nicht im Detail die ganzen verästelten militärischen Aktionen nachzeichnen. Maras jedenfalls konnte sich zu Beginn des Jahres 1920 befreien. Urfa gelang das gleiche im April, während der Aufstand in Antep 6.000 Tote kostete und dennoch erfolglos blieb.
Allerdings erkannte die französische Regierung, welch große Opfer es sie kosten würde, die Gebiete zu halten. Sie traf ein Abkommen mit den Jungtürken und zog sich aus den besetzten Gebieten zurück. Sie hinterließ mit rund 100.000 armenischen Flüchtlingen, die noch 1920 in Kilikien angesiedelt worden waren und mit den französischen Besetzern zusammengearbeitet hatten, eine schwere Belastung für die Zukunft.

Antep feiert sich heute noch als Stadt der Helden. Foto: UK.

Wie auch immer, das türkische Selbstbewußtsein zehrt heute noch vom damals erworbenen Heldenruhm. Dieses heroische Erbe will man in Gaziantep für den Tourismus nutzbar machen, so hat man zusätzlich zu den zahlreichen Monumenten der großen Freiheitskämpfer ein Museum eingerichtet, das den Kampf der Stadt aus Sicht der türkischen Nationalisten erzählt.

Heroismus am Museumseingang. Foto: UK.

Auf mich als Westeuropäerin, die noch dazu aus einem Land stammt, das den zweiten Weltkrieg verloren hat, wirkte all das Heldentum ein wenig merkwürdig. Schon am Eingang zielten schnauzbärtige Krieger mit ihren Gewehren auf die Eintretenden. Pferde bäumten sich auf, Kinder starben tapfer und unter jeder lebensgroßen (aber nicht unbedingt lebensechten) Statue stand ein Name zu lesen.
Das Museum war in der Burg untergebracht. Gezeigt wurden nicht etwa Exponate, sondern moderne, etwas naive Kupferreliefs mit Szenen des Befreiungskrieges. Sie wurden durch ausführliche Texte in Türkisch und Englisch kommentiert.

Hinrichtung von Kindern. Foto: UK.

Und manchmal wußte man wirklich nicht, was man sagen sollte. So zum Beispiel zu dem schauerlichen Massaker an 14 türkischen Jungs, die allerdings einem Freischärlerkorps, das sich im offenen Kampf mit den Franzosen befand, Nachschub – Munition und Nahrung – gebracht hatten. Die Jungs waren mit ihren Tragtieren zwischen die kämpfenden Fronten geraten. Sie hatten sich in einer Mühle verschanzt. Durch den Schußwechsel waren sie nicht in der Lage, den kämpfenden Türken den Nachschub zu bringen. Deshalb mußten sich die Türken zurückziehen. Sie überließen ihre kleinen Helfer dem Schicksal. Die Franzosen stürmten die Mühle und brachten die 14 bis 15jährigen um. Vorwurfsvoll betonte der Text, daß die Buben keine Waffen getragen hätten.

Flußgottheiten. Mosaik im archäologischen Museum von Antep. Foto: UK.

Den Nachmittag verbrachten wir erbaulicher im umwerfenden archäologischen Museum von Gaziantep. Ich kann mich nicht erinnern, in meinem ganzen Leben vergleichbare Mosaiken gesehen zu haben – und auf ein paar habe ich ja schon gebracht. Das Museum platzte schier aus allen Nähten. Und dabei enthielt es nur die Prunkstücke von einer relativ kleinen Grabungsfläche!

Der als Mädchen verkleidete Achill enttarnt sich, indem er nach den Waffen greift. Mosaik im archäologischen Museum von Antep. Foto: KW.

Zur Erinnerung. Sie stammen aus Zeugma, der Stadt, die auf Befehl der türkischen Regierung im Jahr 2000 geflutet wurde, um dort Wasser zu stauen, das die Felder Anatoliens bewässern soll. Die Funde stammen aus einer Notgrabung, die der Sohn des Hewlett-Packard Gründers auf seine Kosten durchführen ließ. Der hatte von der bevorstehenden Katastrophe in der New York Times gelesen und eine Notgrabung finanziert. Fünf Millionen Dollar kosteten die Ausgrabungen, die der Menschheit unglaubliche Schätze schenkten, die sonst in den Fluten des Staudamms verloren gewesen wären.

Mosaik des Zosimos im archäologischen Museum von Antep. Foto: KW.

10 Tage zögerte der Staatspräsident die Flutung hinaus. Jahre wären notwendig gewesen, um all die kostbaren Funde zu bergen. Aber wirtschaftlichen Interessen wird eben überall auf der ganzen Welt von Regierungen Kulturgut leichtherzig geopfert.

Detail aus dem Mosaik des Zosimos. Foto: UK.

Zeugma wurde übrigens von Seleukos I. dort gebaut, wo die erste Brücke den Euphrat überquerte. Die Römer eroberten die Stadt im Jahre 64 v. Chr. Sie war ein wichtiges Handels- und Verwaltungszentrum mit rund 80.000 Einwohnern. Zeugma lag an der Seidenstraße. Hier zogen die großen Karawanen durch. Und hier waren die Soldaten der Legio IV Scythica stationiert und brachten römische Gewohnheiten nach Mesopotamien. 256 eroberte Shapur I. die Stadt. Die dabei geschehenen Zerstörungen und ein anschließendes Erdbeben beendeten die Blütezeit Zeugmas.

Dieses Frauengesicht ist auf allen Plakaten des Museums zu sehen. Foto: UK.

Aber zurück zum Museum. Was für ein Reichtum an Motiven! Von Achilles, der sich unter den Mädchen versteckt, um dem Tod in Troja zu entgehen, über Daidalos, der für Pasiphae die hölzerne Kuh baut, bis hin zu Klio und Kaliope, zu Dionysos und Poseidon, es schien gar kein Ende zu nehmen. Ein Mosaik war prachtvoller und kostbarer als das nächste.

Die Münzausstellung von Gaziantep. Foto: UK.

Und es gab sogar Münzen! Man hat in Zeugma einen Schatzfund an syrischen Tetradrachmen gemacht und – man möchte es nicht glauben! – katalogisiert und publiziert. Die Broschüre war im Museumsshop zu kaufen (ja, Sie haben richtig gelesen: in Gaziantep haben wir doch tatsächlich einen Museumsshop gefunden! Es gab sogar Postkarten!). Wir entdeckten auch einen Katalog der Warensiegel aus der Stadt.

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Warensiegel aus Zeugma. Foto: UK.

In Zeugma kam der bisher größte Bestand an Warensiegel zum Vorschein. Sie wurden geordnet, katalogisiert, gut fotografiert und ebenfalls in einer Broschüre veröffentlicht. Im Museumsshop kann man nicht nur die Bücher, sondern auch gute Münzrepliken erwerben. Bin gespannt, wann die ersten – natürlich mit dem ausgelöschten „Copy“ Vermerk – bei eBay angeboten werden.
Mehr als 2 1/2 Stunden waren wir in dem Museum, ehe wir in Richtung Hotel strebten. Nicht ohne vorher noch die wichtigste Köstlichkeit von Gaziantep zu kosten. Hier sollen die besten Pistazien wachsen und das beste Baklava gebacken werden. Wir suchten uns also eine Konditorei, um Baklava zu probieren. Ich hätte es vorher wissen sollen: Es sieht zwar hervorragend aus, ist aber so süß, daß es für einen mitteleuropäischen Gaumen nicht genießbar ist. Heldenmütig futterten wir und eilten sofort zum Zähneputzen, damit uns nicht auf der Stelle die Zähne von all dem Zucker ausfallen mögen.

21. Juni 2009 – Im Zweistromland
Am Morgen brachen wir auf nach Sanliurfa – auch Urfa hat für seine Beteiligung in den Befreiungskriegen ein schickes Attribut verpaßt bekommen (Sanli heißt Heilig), das übrigens in der alltäglichen Sprache kaum benutzt wird. Wir hatten Glück. Der Mann am Ticketschalter war so nett, den Kollegen zu fragen, wann sein Bus ginge, weil er erst einen um 12.00 anbieten konnte. So fuhren wir schon um 10.30 mit der Linie „Tatlises“.
„Tatlises“ ist in der Türkei ein bedeutender Unternehmer, der vom einfachen Arbeiter zum Showstar aufstieg und in dieser Branche so viel Geld verdiente, daß ihm heute Buslinien, Schnellimbisse und vieles mehr gehört. Seine Geschäftsmethoden sind ziemlich umstritten. Die Skandalblättchen behaupten, er habe im Stil der Mafia seiner Geliebten den Schädel einschlagen lassen und mehreren Konkurrenten den Auftragskiller nach hause geschickt.
Ob es dazu wohl paßt, daß am 14. März 2011 ein Unbekannter auf ihn schoß? Der Attentäter konnte mit seiner großkalibrigen Maschinenpistole entkommen, aber wenige Tage später wurde ein polizeibekannter Unterweltsboß als Auftraggeber verdächtigt und festgenommen. Aber damit haben wir weit vorgegriffen (Anm. bei der Vorbereitung zur Publikation).
Jedenfalls vermarktete der Mann sich selbst hervorragend: Während der ganzen Busfahrt liefen seine alten Fernsehshows – und gaben uns westlichen Bustouristen einen guten Eindruck, wen man in der Türkei als Superstar verehrt: Wir sahen einen türkischen Musikantenstadel mit Volksmusik: folkloristisch gekleidete Herren, die alle über einen dicken Schnauzer und einen fetten Wanst verfügten, produzierten sich Hüften schwingend und Finger schnippend. Bei uns in Deutschland hätte man die Stars allenfalls als Männer in der Midlifecrisis belächelt, hier flippten junge Mädchen aus, wenn der fettleibige Herr „Süßstimme“ – nichts anderes heißt Tatlises – sein schmachtendes Organ erschallen ließ. Es war weder eine Augen- noch eine Ohrenweide. Schönheitsideale sind eben kulturgebunden.

Die Festung von Urfa. Foto: KW.

Um die Mittagszeit kamen wir in Urfa an. Ausnahmsweise wußten wir genau, in welches Hotel wir wollten. Es gibt ein neues Superklassehotel an den Fischteichen namens El Ruha. Tatsächlich war nicht nur der Bau wohltuend schön, sondern auch das Personal freundlich und überraschend kompetent. So teilten sie uns souverän mit, daß die rund 100 Zimmer des Hotels ausgebucht seien. Was für eine Enttäuschung!
Zumindest war man extrem freundlich, man besorgte uns sogar ein Zimmer in einem anderen Hotel. Doch das war ein Reinfall. Das Hotel Dedeman gehört zu diesen typisch türkischen Möchtegernpalästen, in denen man amerikanische Vier-Stern-Preise nimmt, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was ein Vier-Stern-Hotel leisten sollte. Die Klimaanlage machte zwar Lärm, aber das war auch alles.

Die Fischteiche von Urfa. Foto: UK.

Wir gingen erst einmal in die Stadt und glaubten festzustellen, daß unser Hotel am Ende der Welt läge – weit gefehlt, wir waren nur unzählige Umwege gelaufen. Urfa selbst war voll mit Menschen, die ihren Sonntagsausflug zu den beliebten Fischteichen Väterchen Abrahams machten. Es ist eine grüne Oase, die da an einem großen Heiligtum des Islam entstanden ist. In Urfa wurde nämlich der Überlieferung nach Abraham geboren. Mit 16 versuchte er, König Nimrod zu bekehren, der ihn für diese Frechheit auf den Scheiterhaufen werfen ließ. Doch – wie unser Reiseführer schreibt – „Gott läßt die Seinen nicht im Stich.“ Der Scheiterhaufen verwandelte sich in einen Teich, die Glutbrocken darin in Karpfen, die bis heute prächtig gedeihen. Ihr Verzehr soll nämlich sofortige Blindheit nach sich ziehen.

Tausende von Karpfen leben in den Teichen von Urfa. Foto: KW.

So treiben sich unglaubliche Massen der heiligen Tiere in den kleinen Bächen und Becken herum und lassen sich von den Besuchern füttern.

Wasserwagen bringen das kostbare Nass ins Erholungsgebiet. Foto: UK.

Eigentlich muß man Nimrod sehr dankbar sein, denn er hat hier den Anlaß geliefert, eine Oase zu schaffen. An unzähligen Springbrunnen und Wasserläufen sitzt man im Kühlen, während die übrige Stadt mit bis zu 45 Grad im Schatten glüht. Wir ließen uns in einem der Teehäuser nieder, beobachteten die Familien, die stundenlang die besten Tische am Teichrand blockierten und dafür winzigste Rechnungen machten.

Rudern über die winzigen Teiche ist ein großes Vergnügen der Besucher. Foto: UK.

Wir sahen all den kleinen Prinzen und Prinzessinnen zu, die wild spielten, ohne dafür gerügt zu werden. Wir beobachteten die zwei kleinen Boote, die mit gewaltigen Ladungen voll Besuchern ihren kleinen Rundkurs von 5 Minuten auf dem größten der Fischbecken zogen. Es war interessant, beruhigend und erholsam, was wir durchaus brauchen konnten.
Allerdings trieben mich die penetranten Blicke auf meine Beine in den Wahnsinn. Nicht etwa, daß ich unanständig gekleidet gewesen wäre. Bei den gut 45 Grad hatte ich zu einer halblangen Hose gegriffen, die die Hälfte meiner Unter- (wohl gemerkt) Unterschenkel hervorschauen ließ. Und auf die starrten alle, Männer, Frauen, Kinder. Bis wir den Trick begriffen. Wenn mich eine Frau oder ein Kind anstarrte, mußte ich nur sofort genauso penetrant zurückstarren. Dann senkte die andere Partei sofort den Blick. Bei den Männern ging das nicht. Die ließen sich von meinem Blick nicht beirren. In so einem Fall mußte ich Kurt stupsen. Der starrte den anderen an, und wusch, das Problem war erledigt.

Am frühen Abend beschlossen wir noch, das Reisebüro zu suchen, von dem unser schlaues Buch behauptete, es würde Reisen auf den Nemrud Dagh organisieren. Ich wollte schon aufgeben – alle Stadtpläne der Welt kapitulieren vor dem orientalischen Chaos, doch plötzlich hatten wir es gefunden – und am nächsten Tag sollte es zum weltberühmten Nemrud Dagh gehen. Ich hoffe, daß Sie uns auch in der nächsten Folge des Tagebuchs auf dieser Reise begleiten.

Alle weiteren Teile des Tagebuchs finden Sie hier.