Ich bin das Zeichen von Phanes

Das vierte bekannte Exemplar der Phanes-Statere kommt auf den Markt

Am 8. März 2010 wird bei Gorny & Mosch ein Exemplar der rätselhaften Schlüsselserie der frühen Münzprägung angeboten. Mit 150.000 Euro ist der Phanes-Stater aus israelischem Privatbesitz geschätzt. Es handelt sich um den vierten bekannten Stater der Emission. Ein Stück befindet sich im British Museum, eines weiteres kaufte die Deutsche Bundesbank. Im Februar 2000 wurde bei Tkalec in Zürich ein drittes Beispiel für 480.000 Schweizer Franken an einen privaten Sammler verkauft. Zu den vier Stateren kennt man fünf Triten (Drittelstücke). Sie alle zeigen den Hirsch auf der Vorderseite. Auf den Stateren liest man die stolze Inschrift „Phanos emi Seima“ = Ich bin das Zeichen von Phanes.

Wer prägte die Phanes-Statere – und warum?
Alles klar, so möchte man denken. Phanes natürlich. Aber wer war dieser Phanes? Unter den großen Königen der Frühzeit ist keiner überliefert, der so oder so ähnlich hieß. Sollte das etwa bedeuten, daß ein Privatmann seinen Namen auf diese frühen Münzen setzte?
Damit sind wir schon mitten drin in einer wissenschaftlichen Diskussion. Warum wurden die ersten Münzen überhaupt geprägt?
Sicher nicht, wie noch Aristoteles annahm, um den Handel zu erleichtern. Der funktionierte seit Jahrhunderten auch ohne Münzen prächtig. Und welcher Händler wäre wohl so dumm gewesen, auf einem leeren Schiff mit einem kleinen Säckchen voll Statere loszufahren, um erst im fernen Land Ware einzukaufen? Einen wesentlichen Detailhandel gab es im 7. Jahrhundert noch nicht, so daß dieser nicht der Grund, sondern eher eine Folge der Einführung des Mediums Münze gewesen zu sein scheint.
Ganz im Zeichen von Heraklit („Der Krieg ist der Vater aller Dinge“) scheint die Hypothese von R. M. Cook zu stehen, daß die ersten Münzen geprägt wurden, um als Bezahlung für Söldner zu dienen. Eigentlich eine schöne Idee, wenn sie nicht das Existieren eines funktionierenden Detailhandels voraussetzen würde. Schließlich versorgten sich die antiken Söldner selbst. Wie sollten sie beim Bauern die großen und wertvollen Statere, Triten und Hekten in ein Huhn, einen Kanten Brot oder einen Becher Wein verwandeln? Ja, selbst die 1/96 Statere waren noch zu wertvoll, um damit eine Mittagsmahlzeit zu bezahlen.
Man hat diese These variiert und in den Stateren ein Abschiedsgeschenk für Söldner oder verdiente Helfer sehen wollen, aber wofür brauchte es dann die Teilstücke?
Colin Kraay schlug vor, in den Münzen den Versuch des Staates zu sehen, ein eigenes Währungssystem einzuführen: Die Politiker bezahlten Arbeiten im eigenen Geld, um so ihre Steuern, Hafengebühren und Strafen in der eigenen Währung zurückzubekommen. Dies würde voraussetzen, daß die Arbeiter ausschließlich für die Zahlungen an den Staat arbeiteten, wogegen sich sogar heute die Bürger Deutschlands, die nun wirklich an staatliche Ausbeutung gewöhnt sind, wehren würden. Wie hätte sich erst ein Grieche über so eine Idee verwundert!

Die Eigenschaften von Elektron
All die im vorhergehenden Abschnitt präsentierten Ideen könnte man zusammenfassen unter dem Stichwort: Die Münze wurde erfunden, um einen bestimmten Bedarf zu befriedigen. Wie aber wäre es, wenn die Münze stattdessen ein Nebenprodukt einer anderen Problemstellung gewesen wäre? Stellte nicht gerade das Material, das Elektron, jeden vor die Aufgabe, schnell und ohne Schmelztiegel zu bestimmen, wie nun der exakte Gold- und Silbergehalt des jeweiligen Stückes sei.
Tatsächlich wissen wir aus metallurgischen Untersuchungen, daß die ersten Münzen alles andere waren als bloße Metallklümpchen, die man aus dem Paktolos gefischt hatte. Die Könige von Lydien ließen die Metalllegierung, aus der sie ihre Münzen herstellten, sorgfältig und künstlich zusammenmischen, um einen immer gleichen Gold- und Silbergehalt zu erzielen. Es könnte also durchaus sein, daß die ersten Münzen nichts anderes waren als kleine Metallbarren, deren Zeichen ihre immer gleiche Legierung garantierte.

Und Phanes?
Unser Phanes könnte also ein reicher Handelsherr gewesen sein, der seine kleinen Gold-Silber-Barren mit seinem eigenen Zeichen versah, um ihre immer gleich bleibende Legierung zu bestätigen. Aber warum – so fragt man sich sofort – ließ er dann nicht gleich Gold- und Silber trennen und machte so eine Kennzeichnung überflüssig?
Vielleicht gab es doch einen ganz anderen Grund, die ersten Münzen zu prägen?
Wolfgang Kastner hat in der Schweizerischen Numismatischen Rundschau 65 (1986) einen Hinweis gegeben, der uns ein Stückchen weiterführt. Er stellte fest, daß „Phannos“ oder „Phaneos“, wie der Name auf den Münzen erscheint, auf Grund von sprachwissenschaftlichen Kriterien eigentlich nicht der Genitiv eines männlichen Namens sein könne. Er nimmt an, daß sich die Münzinschriften auf eine weibliche Göttin „Phano“ beziehen oder auf einen Ortsnamen „Phane / Phanai“.
Tatsächlich stammt unser größter archäologisch ergrabener Fund an Elektronmünzen aus einem Heiligtum, nämlich dem der Artemis in Ephesos. Wir wissen, daß Gold und Silber die Opfergaben der Reichen waren, daß es üblich war, seine Opfergabe zur Erhöhung des eigenen Ruhms auffällig mit dem eigenen Namen zu versehen – und daß die Lyder, die Herodot für die „Erfinder“ der Münze hielt, besonders treue Mäzene der verschiedenen griechischen Heiligtümer waren. Läge es nicht nahe, in den ersten Münzen Opfergaben an die Götter zu sehen, deren Nützlichkeit den Priestern und Beamten bald aufging?

Manche Fragen werden nie geklärt werden
Es ist eine Hypothese, die – wie alle anderen – nie bewiesen oder endgültig widerlegt werden kann. Der Mann, der die Münze „erfand“, ist tot und hat uns keine Aufzeichnung der Gründe hinterlassen, warum er tat, was er tat. Vermutlich war er sich nicht einmal bewußt, daß er damit, daß er ein Bild auf ein Klümpchen Metall setzte, etwas schuf, das die Welt verändern sollte.

EPHESOS(?). Phanes. Stater, 625-600 v. Chr. Äsender Hirsch n. r., darüber retrograd die Aufschrift Phanos emi Seima. Rv. Drei rechteckige Incusa mit sich kreuzenden Graten. Weidauer 39 (stgl.). Aus Auktion Gorny & Mosch 185 (2010), Nr. 146.

EPHESOS(?). Phanes(?). 1/12 Stater, 625-600 v. Chr. Hirschprotome n. l. Rv. Viergeteiltes Incusum. Weidauer 38. Aus Auktion Gorny & Mosch 186 (2010), Nr. 1375.
Traditionell werden diese Kleinmünzen mit der Hirschprotome ohne Inschrift dem Phanes zugewiesen. Damit stünde die Verortung der Prägungen in Ephesos in Frage, da Karwiese die so genannten „Löwenpranken“ als die früheste Elektronprägung von Ephesos identifiziert hat. Er weist darauf hin, daß die Hirschprotome regelmäßig in Kolophon auftaucht.
Allerdings geht diese Argumentation davon aus, daß jeweils nur eine Prägung in einer Stadt gleichzeitig stattgefunden haben könnte. Sollte die städtische Regierung tatsächlich so schnell ein Münzmonopol erlassen haben? Oder hat hier jemand moderne Vorstellungen auf die Antike angewandt?

LYDIEN. Unbestimmter König. Trite, 600-550 v. Chr. Löwenkopf mit offenem Rachen und mehrstrahliger Warze n. r. Rv. Zwei quadratische Incusa. Weidauer 86ff. Aus Auktion Gorny & Mosch 185 (2010), Nr. 160.

Der Artemistempel. Modell im Freizeitpart Miniatürk. Foto: Wikipedia.
Aus den Fundamenten des Artemistempels von Ephesos stammt unser größter bestand an ergrabenen frühen Elektronmünzen. Leider gibt ihr Fundzusammenhang wegen der komplizierten Bausituation bis heute keinen verläßlichen zeitlichen Anhaltspunkt.