Szenografie und Numismatik: Ein Interview mit dem Szenografen Prof. Eberhard Schlag

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8. September 2011 – Das Stuttgarter Atelier Brückner hat sich in den vergangenen Jahren einen ausgezeichneten Ruf erworben, wenn es darum geht, Objekte ins rechte Licht zu setzen. Wir sprachen mit Prof. Eberhard Schlag, Mitglied der Geschäftsleitung, wie Szenografie in der Numismatik zum Einsatz kommen kann.

Ein Einblick in die Ausstellung „Universe of Particles“ im Genfer CERN. Foto: Michael Jungblut.

MünzenWoche: Bitte umschreiben Sie, was den Unterschied ausmacht zwischen einer Ausstellung, die allein ein Fachkurator betreut hat, und einer Ausstellung, die von einem Szenografen gestaltet wurde.

Prof. Eberhard Schlag: Ebenso wie der Fachkurator geht der Szenograf von den Exponaten und den Inhalten aus, die es zu vermitteln gilt. Der Ansatz des Szenografen ist dabei allerdings ein holistischer. Er hat alle Mittel im Blick, mit denen er die Aussage der Exponate verdeutlichten kann. Diese Mittel werden gezielt eingesetzt und führen dazu, dass dem Besucher durch eine Kontextualisierung der Zugang zu den Inhalten erleichtert wird. Es geht also um die Gestaltung eines Verhältnisses von Inhalt zu Besucher und umgekehrt, um das sich die Szenografie kümmert.

MünzenWoche: Mit welchen Mitteln arbeiten Sie?

Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln: Yamsspeicher. Foto: Michael Jungblut.

Prof. Eberhard Schlag: Wir nutzen Mittel des Theaters, des Films und der bildenden Kunst, um unverwechselbare Raumbilder und Raumdramaturgien zu gestalten. Ausgangspunkt und Zentrum der Überlegungen ist stets der Raum als Mittel an sich. Er selbst „vermittelt“ die Botschaften. Die Raumbilder wiederum entstehen durch den gezielten, orchestrierten Einsatz der Mittel Licht, Klang, Grafik und digitaler Medien im Zusammenspiel mit der raumbildenden Gestaltung.

MünzenWoche: Wie wird man Szenograf? Braucht man dafür eine besondere Ausbildung?

Prof. Eberhard Schlag: Mittlerweile wird Szenografie tatsächlich an mehreren Hochschulen in Deutschland und in ganz Europa gelehrt. Mein Partner und Gründer des ATELIER BRÜCKNER, Uwe R. Brückner, beispielsweise lehrt Ausstellungsgestaltung und Szenografie an der HGK in Basel. Ich selbst lehre Kommunikation im Raum an der HTWG in Konstanz.
Szenografie ist immer ein Studiengang, der mehrere Disziplinen berührt. Das multidisziplinäre, disziplinübergreifende Arbeiten ist der Szenografie immanent. Viele Szenografen können ein Studium der Architektur oder Innenarchitektur vorweisen. Im ATELIER BRÜCKNER arbeiten darüber hinaus beispielsweise auch Kommunikationsdesigner, Kulturhistoriker und Regisseure, Produkt- und Mediengestalter.

MünzenWoche: Ihr Motto ist „form follows content“. In welcher Form brauchen Sie den „content“? Wie stelle ich mir ganz praktisch die Aufgabenteilung zwischen Kurator und Szenograf vor?

Prof. Eberhard Schlag: Der Content ist unser Ausgangspunkt, der sich im Raum ausdrücken und erlebbar werden soll. In enger Zusammenarbeit mit dem Kurator wird der Content zunächst benannt, erörtert, eingekreist. Es gilt zu klären, welcher Content vermittelt werden soll; welche Exponate zur Verfügung stehen und was diese aussagen können. Ausgehend von den Exponaten oder auch von einem abstrakten Inhalt erarbeiten wir dann Vorschläge, wie diese Inhalte im Raum zum Ausdruck kommen können.

Ein Einblick in die Ausstellung „Universe of Particles“ im Genfer CERN. Foto: Michael Jungblut.

Ein einprägsames, Content-generiertes Raumbild zeigt beispielsweise die Ausstellung „Universe of Particles“ in Genf. Alle Exponate und Medienstationen sind hier in sphärische Formen integriert: Vermittelt wird die Dimension und Faszination der Forschungsarbeit zu Mikro- und Makrokosmos, die rund um den Teilchenbeschleuniger in CERN geleistet wird.

MünzenWoche: „Als Initiator eines solchen Raumerlebnisses ist der Szenograf zunächst Interpret der Inhalte von Dingen oder Aufgabenstellungen. Der Forschungsakt als Wissenserfahrung verschafft ihm Einblick in die narrativen Potentiale eines Objekts, in dessen historisch-kulturelle Relevanz, seine Funktion, seine Symbolik. Dinge sind Zeugen, die Informationen über Vergangenes zu geben vermögen. Sie sind … Semiophoren, die zwischen Gegenwart und Vergangenheit vermitteln.“ – Dieses Zitat stammt aus Ihrem gerade erst im Verlag avedition erschienenen Bildband zur Szenografie anhand Ihrer Projekte der Jahre 2002 bis 2010(1). Für den einfachen Kurator ist das ein wenig avantgardistisch. Könnten Sie uns deshalb in anderen Worten erklären, welche Rolle das Objekt in einer von einem Szenografen geschaffenen Ausstellung spielt.

Prof. Eberhard Schlag: Das Objekt mit seiner spezifischen Aura – seiner Ausstrahlung – und seiner kulturgeschichtlichen Vielschichtigkeit ist der Ausgangspunkt unserer Forschung. In Auseinandersetzung mit dem einzelnen Objekt und seiner Historie entwickeln wir die Präsentation. Je nach Ausstellung kann diese Präsentation eine andere sein, da jede Ausstellung eine andere Fragestellung hat, d. h. jede Ausstellung wirft ausgehend von einem unterschiedlichen Standpunkt ihren spezifischen Blick auf das Objekt.

MünzenWoche: Besteht nicht die Gefahr, dass die Ausstellungsarchitektur die Schönheit und Wirkung einzelner Objekte in den Hintergrund drängt? Welche Mittel setzen Sie ein, um hier die Balance zu halte?

Prof. Eberhard Schlag: Es gibt gute und schlechte Ausstellungsgestaltung. Unser Ziel ist es, das Objekt zum Sprechen zu bringen. Das authentische Objekt ist die wahre Attraktion jeder Ausstellung. Je nach Objekt, Kontext und gewünschter Aussage müssen die einzelnen Mittel ausgewählt und feinsinnig aufeinander abgestimmt werden.

MünzenWoche: Können Sie einem Kurator, der über das Budget seiner Ausstellung nachdenkt, irgendeinen Anhaltspunkt geben, mit welchen Summen er rechnen müsste, wenn er für seine Ausstellung mit einem Szenografen zusammenarbeiten möchte?

Prof. Eberhard Schlag: Grundsätzlich wird eine Ausstellung durch die Zusammenarbeit mit einem Szenografen nicht unbedingt teurer. Auch mit vergleichsweise geringen Budgets und einfachen Mitteln lassen sich beeindruckende Inszenierungen realisieren. Die  Kreativität des Gestalters ist meist wichtiger als ein pralles Portemonnaie des Auftraggebers. Aber um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Budgets beginnen ab € 500 pro Quadratmeter für eine Wechselausstellung; ein guter Mittelwert für eine Dauerausstellung ist € 2.500 pro Quadratmeter.

MünzenWoche: Große Objekte in Szene zu setzen, kann ich mir gut vorstellen. Die Numismatik beschäftigt sich aber vor allem mit winzigen Objekten, mit Münzen, deren Durchmesser meist in Millimeter gemessen wird. Kann man auch auf solche Objekte Szenografie anwenden?

Prof. Eberhard Schlag: Szenografie meint Ausstellungsgestaltung. Nicht nur bei großen, sondern gerade auch bei kleinen Objekten ist es wichtig, diese präzise auf die Exponate abzustimmen. Ein falsch gesetztes Licht, eine unpassende Farbigkeit oder eine Beschriftungstafel, die das Objekt erschlägt, sind nur drei Beispiele für Fehler, die vermieden werden können. Wichtig ist uns im ATELIER BRÜCKNER, dass die Ausstellungsgestaltung nicht als Anhäufung von Versatzstücken wahrgenommen wird, sondern als eine integrativ gestaltete Einheit, über die der Content vermittelt wird. Der Besucher ist der Adressat der Ausstellung. Er soll einen intuitiven Zugang zu den ausgestellten Inhalten erhalten.

MünzenWoche: Was gibt es bei kleinen Objekten zu beachten? Wie setzt man sie am besten in Szene?

Prof. Eberhard Schlag: Je nach Objekt muss individuell entschieden werden, wie es am besten zur Geltung kommen kann. Ist es ein Hauptexponat? Steht es in einer Reihe mit weiteren vergleichbaren Stücken? Grundsätzlich gilt: Kleine Exponate benötigen einen geringeren Betrachtungsabstand als große Objekte. Und bei der Präsentationshöhe sollte man beachten, dass unter den Besuchern durchaus auch Kinder und Menschen im Rollstuhl sein können.

MünzenWoche: Wie viel kann ein Mensch überhaupt aufnehmen? Überlegen Sie bei Ihren Ausstellungen, wie lange sich der Besucher in den Räumen aufhält und wie viele Objekte er dabei ernsthaft besichtigen kann?

Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln: Europäischer Salon. Foto: Michael Jungblut.

Prof. Eberhard Schlag: Unsere Ausstellungen planen wir in der Regel als dramaturgisch inszenierten Parcours mit verschiedenen Routen und bestimmter Verweildauer. Eine differenzierte Abfolge und Ausgestaltung der einzelnen Raumbilder sind wichtige Kriterien, um den Besucher nicht zu ermüden, seine Neugierde und Aufmerksamkeit zu wecken. Im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, einem der großen deutschen Völkerkundemuseen, galt es beispielsweise 3600 Quadratmeter Ausstellungsfläche mit einer interessanten Ausstellung zu erschließen. Hier erhielt jeder Themenbereich eine individuelle Inszenierung auf der Grundlage einer eigens für dieses Haus entwickelten Gestaltungsrichtlinie.

MünzenWoche: Wie lösen Sie das Problem des kleinen Objekts für eine Führung? Bei einer Gruppe von vielleicht 20 Personen haben nur die vordersten drei die Möglichkeit, die Ausführungen anhand des Objekts zu überprüfen.

Deutsches Uhrenmuseum Glashütte. Medientisch. Foto: Wolfgang Günzel.

Prof. Eberhard Schlag: Kleine Objekte eignen sich vor allem für die individuelle Betrachtung. Für Gruppen können besonders wichtige Objekte ergänzend in einem anderen Maßstab medial aufbereitet werden – in Form von Film, Foto oder auch als Grafik.

Deutsches Uhrenmuseum Glashütte. Detail aus dem Medientisch. Foto: Wolfgang Günzel.

Für das Deutsche Uhrenmuseum Glashütte haben wir beispielsweise einen Medientisch entwickelt, der in das Innenleben einer Uhr blicken lässt. Hier kann der Besucher interaktiv das Zusammenspiel der winzigen Einzelteile erkunden.

MünzenWoche: Wenn ich mir Ihre Projekte ansehe, bin ich natürlich begeistert von der Großzügigkeit der Entwürfe. Leider sieht die Realität ja häufig anders aus. Sparmaßnahmen zwingen Kuratoren zu Kleinstausstellungen mit winzigem Budget. Können Sie diesen Kuratoren einen Rat geben, wie man aus knappen Ressourcen mit wenig Aufwand immer noch das Beste herausholt?

Slawenschiff. Foto: Uwe Ditz.

Prof. Eberhard Schlag: Oft ist weniger mehr und die Beschränkung auf das Wesentliche kann zu besonders pointierten und klaren Ausstellungskonzeptionen führen. Hier ist die Kreativität  des Szenografen gefragt: die Ausstellung stellt das Objekt und seine Geschichte in den Vordergrund und ist immer vom Besucher her zu denken. Dann sind auch mit geringem Budget überraschende Ergebnisse möglich, die lange in Erinnerung bleiben. Noch heute werden wir zum Beispiel auf die Inszenierung eines Slawenbootes angesprochen, die 2002/2003 innerhalb der Ausstellung „Menschen – Zeiten – Räume“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen war. Eine Rauminstallation der erhalten gebliebenen Nägel ermöglichte einen intuitiven Zugang zu Größe und Bedeutung des Fundes.

MünzenWoche: Wir bedanken uns für das Gespräch.

Prof. Eberhard Schlag, Atelier Brückner. Foto: Reiner Pfisterer.

Prof. Eberhard Schlag, geboren 1967 in Singen, gehört seit 1997 zum Kernteam des Stuttgarter ATELIER BRÜCKNER, seit 2005 als Partner. Der diplomierte Architekt ist als übergeordneter Projektkoordinator für die technisch innovative und qualitätsvolle Realisierung der Architekturen und Ausstellungsprojekte des international agierenden Szenografiebüros verantwortlich. Insbesondere tragen die Cycle Bowl der Expo Hannover und das BMW Museum in München seine Handschrift. Prof. Eberhard Schlag studierte an der Stuttgarter Universität und am Illinois Institute of Technology in Chicago. Seit 2010 lehrt er „Kommunikation im Raum“ an der Fakultät Architektur und Gestaltung der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) in Konstanz.

(1) Scenography / Szenografie – Making spaces talk / Narrative Räume. Projects / Projekte 2002-2010, Hg. Atelier Brückner. ISBN 978-3-89986-136-5.

Wenn Sie mehr über das Atelier Brückner wissen wollen, klicken Sie hier.

Wenn Sie die verschiedenen Museen interessieren:

Hier geht es zum Rautenstrauch-Joest-Museum und seinem Rundgang.

Hier gibt es bei Youtube einen Einblick in die Ausstellung Universe of Particles.

Hier finden Sie das deutsche Uhrenmuseum Glashütte.

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