Sherlock weist Frankreich 23.000 verlorene Kunstwerke nach

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von Björn Schöpe

5. Mai 2016 – Ein immer wieder gehörtes Argument gegen das private Sammeln lautet, dass private Besitzer der Öffentlichkeit ihr nationales Erbe vorenthalten. Nur der Staat garantiere eine treuhänderische Aufbewahrung des national wichtigen Kulturgutes für die kommenden Generationen. Allerdings lässt die Realität immer wieder Zweifel an dieser Sichtweise aufkommen. So auch im jüngsten Kunst-Skandal.

Diesmal ist das Sorgenkind keiner der sogenannten „failed states“, sondern Frankreich, eines der reichsten Länder der Welt. In Frankreich unterstehen die im Besitz des Staates sich befindenden Kulturgüter verschiedenen Institutionen. Das erschwert eine effiziente Verwaltung. Deshalb richtete man 1996 die Commission de récolement des dépôts d’œuvres d’art (CRDOA) ein. Aufgabe der CRDOA war es zu erfassen, welche Kunstgegenstände sich im Besitz welcher Institution befinden und diese Objekte auch real zu lokalisieren. 2014 startete die CRDOA eine Onlinedatenbank namens Sherlock. Darin wurden alle Kunstwerke im Besitz des französischen Staates verzeichnet. 2011 waren das immerhin rund 430.000. 2015 konstatierte die CRDOA in ihrem Jahresbericht, dass der französische Staat in vielen Fällen nicht wisse, wo sein Besitz sei. Die Zeitung Libération erhielt Zugang zur Onlinedatenbank Sherlock und stellte im Detail fest: Etwa 23.000 Kunstwerke gelten als nicht auffindbar!

Es handelt sich keineswegs nur um kleinformatige Objekte wie Münzen oder Silberlöffel. Im Palast von Versailles zum Beispiel fehlt seit 2010 ein komplettes Bett aus dem 19. Jahrhundert. Eigentlich nicht so leicht zu verlegen, möchte man meinen… 

Ein anderes Beispiel: Die Französische Botschaft von Conakry (Guinea) vermisst seit 2006 fünf großformatige Teppiche. Die Stücke sind zwischen 2 und 6 Meter lang und wurde vom Außenministerium an die Botschaft verliehen, um dieser ein repräsentativeres Aussehen zu geben. Was mit diesen Stücken weiterhin geschah? Keine Ahnung. Der Fall ist typisch. Das Außenministerium vermisst in seinen ausländischen Vertretungen rund 123 Objekte…
Auch das Innenministerium hat Objekte verliehen, um Präfekturen, Ratshäuser und öffentliche Räume auszuschmücken. Leider scheint man die Empfänger nicht ausreichend darüber informiert zu haben, dass es sich a.) um schützenswertes Kulturgut und b.) um eine Leihgabe handelt. Auf eine Anfrage des Innenministeriums aus dem Jahr 2014 haben bis heute rund 40 % der Präfekturen nicht einmal die Frage beantwortet, ob und wo man die Leihgaben aufbewahre. In den Übersee-Departements sieht es noch schlimmer aus: Dort konnten 80 % der geliehenen Objekte bis jetzt nicht lokalisiert werden.

Sherlock zeigt nur, wie hoch die Verluste sind – zurückbringen kann die Datenbank die Objekte natürlich nicht. Aber sie kann augenfällig machen, wo die Verantwortung liegt. Etwa 90 Prozent der nicht auffindbaren Kunstgegenständen unterlagen der Obhut dreier Institutionen: dem Centre national des arts plastiques (CNAP), das dem Kulturministerium unterstellt ist; dem Service des musées de France sowie der Cité de la céramique.
Das CNAP sucht 11.160 Objekte, die meisten davon (54 Prozent) Gemälde. Dem Service des musées de France fehlen 6.411 Objekte, hauptsächlich archäologisches Kulturgut (65 Prozent), während die dritte Institution vor allem Tischserviceobjekte, Skulpturen und Vasen nicht finden kann. Von 22.800 laut Sherlock vermissten Objekten wurden bislang nur 251 wieder gefunden.

Die unzulängliche Dokumentation, wo Kulturgut aufbewahrt wird, geht laut Jacques Sallois, dem Präsidenten des CRDOA, auf die lange Sammelgeschichte Frankreichs zurück. In napoleonischer Zeit waren systematische Inventarlisten schließlich noch nicht üblich. Jetzt will man sich bemühen, die Inventarisierung zu forcieren, um so verlorene Kulturgüter wieder zu finden. Eine umfassende Inventarisierung könnte so manchem Beamten mit wenig Sinn für Kulturgüterschutz das Entwenden verleiden. Und das ist nötig, wie der Fall von Hughues Malecki aktuell zeigt: Im Februar 2016 wurde der Unterpräfekt der Normandie verhaftet wegen des Verdachtes, ihm anvertrautes Kulturgut illegal verkauft zu haben.

Den Artikel in Libération finden Sie hier.

Einen zusammenfassenden Artikel auf Englisch lesen Sie auf Hyperallergic.

Sherlock können Sie hier befragen.

Und Näheres über den Fall Hughes Malecki lesen Sie hier.

Über andere Fälle, in denen das Gleiche geschah, berichtet in Zusammenhang mit dem Fall Malecki der Figaro.

Und die Jahresberichte von CRDOA stehen hier online.