Das Ritterturnier auf dem Herrenacker von Schaffhausen

[bsa_pro_ad_space id=4]

von Ursula Kampmann

31. Juli 2014 – Das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen führt derzeit eine viel beachtete Ausstellung zu Ritterturnieren durch. Und Allerheiligen wäre nicht Allerheiligen, wenn diese Ausstellung nicht weit über eine normale Zusammenstellung von unbelebten Objekten zum Besuchen und Angucken hinausginge. Höhepunkt des Programms war das Reenactment eines originalen Turniers auf dem Originalschauplatz von 1436, auf dem Herrenacker, über das wir durch den Bericht eines spanischen Gesandten exakt informiert sind.
Das Turnier wurde vor jeweils Hunderten von Gästen zweimal täglich in der Zeit vom 10. bis zum 20. Juli 2014 wieder zum Leben erweckt. Peter Jezler, Direktor des Museums, hatte sich dafür die Zusammenarbeit mit der Hofreitschule Bückeburg und den heutzutage wohl besten Tjostern weltweit gesichert. Ja, es gibt ihn noch den Sport des Tjostens und Turnierens. Eine kleine Gruppe von begeisterten Enthusiasten, für deren Zählung zwei Hände ausreichen, hat sich ganz dem Training und dem Wiederbeleben des ritterlichen Turniersports verschrieben – weit entfernt von Stuntmen und Hollywood.

„Das Turnier wurde in Schaffhausen am Fastnachtdienstag abgehalten, und zwar auf folgende Weise. Seit dem Samstag vorher waren die Kämpfer, an zweihundertzehn, eingetroffen.“

Die Ritter treten zum Kampf an. Foto: KW.

Zweihundertzehn Ritter gibt es heute auf der ganzen Welt nicht mehr. Etwa zwei Hände voll von Reitern üben sich derzeit noch im Sport des Tjostens. Sie kommen aus der ganzen Welt. Sechs von ihnen hatten sich in Schaffhausen eingefunden. Um Mensch – und vor allem Pferd – zu schonen, traten jeweils nur vier von Ihnen zum Kampfe an. Eindrücklich war es trotzdem, die drei verschiedenen Wettbewerbe zu beobachten.

„Am gleichen Tage zogen viele Damen ein; einzelne fuhren in Wagen, von denen die einen sehr schön mit Malereien geschmückt, andre mit Seide, freilich nicht allzu reich bedeckt waren. Mit ihnen kamen Banden von Spielleuten. … Andere Damen kamen zu Pferde mit flittergeschmückten Hüten auf dem Kopfe und in Tuchkleidern. So zog ein großer Teil der Damen, etwa hundert, an diesem Tage ein.“

Die Damen beobachten von der Tribüne aus das Geschehen. Foto: KW.

Wer Christin Krischke von der Bückeburger Hofreitschule fragt, dem wird sie sofort erklären, dass trotz Ritter und männlich geprägter Welt die Damen eine entscheidende Rolle im Geschehen spielten. Sie waren nicht nur Zierde und Schmuck, sondern hatten Macht über die Herren der Schöpfung, so sie sich daneben benahmen.

„Vom Turnierplatze begaben sich von den Damen, wer Lust hatte, in den Saal, um die Helme zu betrachten. Und da bezeichnete eine jede den Helm des Ritters, über den sie Klage zu führen hatte. Zugleich hielten sie Nachschau, ob Helme von Leuten da wären, die nicht am Turnier teilnehmen durften, und fanden auch einen. … Und die Damen ließen die Turniermeister, vier alte Herren, kommen und verlangten, dass der Helm aus dem Saale hinausgeworfen werde. Und das geschah denn auch; man warf ihn auf die Straße und zog ihn durch den Schmutz. Dem Manne aber taten sie allerlei Schmach an. … Die Damen machen in solchen Fällen ein großes Wesen, weil sie sagen, es gebe viele Fräulein aus gutem Geschlechte mit wenig Vermögen, und wenn die Söhne von Adligen Bürgerstöchter wegen ihres Reichtums zur Ehe nähmen und doch die gleichen Privilegien hätten, so könnten sich die adeligen Damen nie verheiraten.“

Der Ritter wird in die Schranken gewiesen. Foto: KW.

Auch das war beim Turnier von Schaffhausen zu sehen, ein Ritter, der – wie die Redensart bis heute spiegelt – in die Schranken gewiesen wurde. Also, den man seiner Rüstung entkleidete und entehrt im Hemd auf die Schranken setzte.

„Nach der Probe kamen etwa fünfzehn Kämpfer, nicht mehr, zum Lanzenstechen wieder auf den Kampfplatz herein; sieben von ihnen wurden, … bei einer Wendung ihrer Pferde in den Sand geworfen. Ihr hättet gestaunt, wenn Ihr gesehen hättet, wie selten sie anrannten, ohne sich zu treffen und ohne dass Lanzen brachen und Rosse oder Reiter stürzten. … Wenn einer getroffen wird und fällt, so gilt er noch nicht als schlechter Ritter, sondern nur, wenn er schreit und klagt, er sei verwundet, und die Arme emporhält, bis man ihn aufhebt.“

Der Tjost wie wir ihn aus den Ritterfilmen kennen. Foto: KW.

Tatsächlich geht es beim ritterlichen Turnier nicht darum, den Gegner aus dem Sattel zu werfen, sondern durch einen gezielten Stoß die Lanze so zu platzieren, dass sie durch die Gewalt des Anpralls bricht. Immerhin beschleunigen die Pferde auf bis zu 40 km/h, so dass die Wucht des Aufpralls zwischen 60 und 80 km/h beträgt.
Je nachdem ob man den Schild oder den wesentlich schwieriger zu treffenden Helm trifft, werden die Punkte vergeben. Disqualifiziert wurde schon im Mittelalter, wer statt dem Mann das Pferd traf. Um das zu vermeiden, wurde die Turnierschranke überhaupt erst eingeführt.
Die Lanze wurde im Mittelalter aus Fichtenholz – und natürlich ohne Sollbruchstelle – hergestellt. Im Turnier von Allerheiligen war dies genauso. Vor einigen Jahren hatte man noch, um die modernen Ritter zu schonen, Lanzen aus Balsaholz produziert, und dabei gemerkt, dass es immer wieder zu ernsthaften Verletzungen kam. Das Holz splitterte, und die kleinen Teilchen drangen leicht durchs Helmvisier ins Auge. Eine wichtige Erkenntnis, die ohne den Versuch nie hätte gewonnen werden können. Und so verstehen sich die meisten Teilnehmer an dem Turnier als experimentelle Archäologen.

„An diesem Montag wurde in der Nacht durch einen Herold verkündet, dass den andern Tag um elf Uhr jedermann in den Schranken sein müsse, und dass um zwölf Uhr das Turnier beginne.“

Der Herold. Foto: KW.

Natürlich gab es auch in Schaffhausen einen Herold. Der hatte sich seine Arbeit etwas leichter gemacht und benutzte ein Mikrophon. Man kann sich aber gut vorstellen, über was für ein Stimmvolumen seine Kollegen im Mittelalter verfügten mussten.

„Am nächsten Tage, Dienstag, zur bestimmten Stunde hatten sich alle Kämpfer in den Schranken eingefunden. In der Mitte des Kampfplatzes waren die beiden Parteien durch zwei Seile geschieden, und als alle versammelt waren, wurden die Tore des Kampfplatzes geschlossen, und die Turniermeister und Einteiler ließen die Seile wegnehmen, und nun gingen die Parteien aufeinander los. … Das Turnier dauerte zwei Stunden; denn obschon angekündigt worden war, es werde nur eine Stunde lang gekämpft, ging es, sogar nachdem die Tore in den Schranken wieder geöffnet waren, eine halbe Stunde, bis die Einteiler dem Kampf ein Ende machen konnten.“

Das Kolbenturnier. Foto: KW.

Während die Stecherei eine Art Vorgeplänkel war, galt die „Turnei“ oder der Massenkampf als das eigentliche Ereignis. Tatsächlich kommt Turnier vom französischen tourner, vom Drehen und Wenden der Pferde, um dem Feind mit dem Kolben einen Schlag zu versetzen. Jeder Schlag wurde gewertet, wobei es kaum Hinweise auf den tatsächlichen Ablauf des Kampfes gibt. Man liest in den Quellen, dass man vor der Strafphase, auf die wir gleich zu sprechen kommen werden, ein- oder zweimal „durchprechen“ solle, was darauf schließen lässt, dass hier eine Art Kavallerieattacke durchgeführt wurde.

„Nachdem die ersten Zusammenstöße vorbei waren, mischten sich alle, und ein jeder begann nach denen auszuschauen, die gezüchtigt werden sollten. Ihr müsst nämlich wissen, wozu diese Turniere seit alten Zeiten eingeführt sind. Die Edelleute leben beständig in ihren Burgen und festen Häusern, und wenn sie sich nicht zu solchen Gelegenheiten versammeln könnten, so würden sie weder unter sich noch mit den Gesetzen des Rittertums bekannt. Ferner dienen die Turniere dazu, dass die Edelleute gezüchtigt werden, die ein schlechtes und unehrenhaftes Leben führen. …
Und am übelsten wurde bei diesem Turnier denen von Basel mitgespielt. Unter diesen war der vornehmste Herr von allen, die dort zusammengekommen waren, ein Markgraf, der die meiste Zeit hier in dieser Stadt wohnt, ein wohlgestalter Mann mit guten Manieren; der lebt nicht mit seinem Weibe zusammen, sie schenkte ihm aber tausend Gulden, die sie ihm hierher sandte, damit er beim Turnier erscheinen könne, und sie selbst kam dahin. … Nicht genug darum an dem Geschenke und den Kleidern, die sie ihm gab, trat sie noch für ihn ein, und ihretwegen wurde ihm verziehen, wenn er auch schon starke Schläge erhalten hatte.“

Bestrafung im Rahmen des Kolbenturniers. Foto: KW.

Wir wissen, welcher Markgraf bei dem Turnier von 1436 so schrecklich verprügelt wurde. Es handelte sich um Markgraf Wilhelm von Hachberg-Sausenberg, der mit hohen und höchsten Persönlichkeiten verkehrte. Philipp von Burgund hatte ihn 1434 zu seinem Kammerherrn ernannt, 1437 wurde er Landvogt des Herzogs von Österreich für das Sundgau, das Elsass und den Breisgau. Ein mächtiger Mann also, der so leicht nicht vor ein Gericht zu zwingen war. Seine Verschwendungssucht hatte ihm schon Ärger mit der Verwandtschaft eingebracht. Verheiratet war er nämlich mit einer reichen Erbin, der Gräfin Elisabeth von Montfort-Bregenz, der Witwe des Grafen Eberhard von Nellenburg. Damit sie bei seinem eventuellen Tod nicht völlig mittellos dastehen und zu einer Last für ihre Verwandtschaft würde, hatte er versprechen müssen, kein Einkommen aus der Morgengabe seiner Frau zu verpfänden. Trotzdem war es 1436 zur Trennung gekommen. Dies wurde nun bei dem Turnier als unritterliches Verhalten von den Standesgenossen geahndet. Sie verdroschen ihn alle gemeinsam mit den Kolben, mit denen dieser Teil des Turniers durchgeführt wurde. Verboten waren Schläge auf den ungepanzerten Körper. Nichtsdestotrotz konnte diese Angelegenheit ziemlich schmerzlich sein, vor allem wenn sich die Frau, die diese Strafe gefordert hatte, nicht erbarmte und den Schlägen Einhalt bot. Elisabeth von Montfort-Bregenz war gnädig. Eine andere Dame war es nicht: Der Junker Hans von Höwen, der die Witwe seines verstorbenen Bruders beleidigt und geschädigt hatte, wurde so lange geschlagen, dass man flüsterte, er werde an diesen Schlägen wohl sterben.

Das Nachturnier. Foto: KW.

Der letzte Teil des Turniers, den unser Chronist von 1436 nicht mehr beschreibt, ist das Nachturnier, bei dem mit den stumpfen Schwertern die Helmzier vom Kopf gehauen werden muss. Es ist ein ziemlicher Trubel, an dem sich im Mittelalter nicht alle beteiligten. Vor allem die würdigeren, älteren Männer zogen sich aus dem burlesken Spaß zurück.

„Dann als es Abend wurde, begab man sich nach dem Saal, und während der Tanz begann, traten die Turniermeister und Richter ab, um über die Preise zu entscheiden: Das waren sechs Ringe, wovon vier für die Besten im Turnier und zwei für die Besten im Lanzenstechen bestimmt.
Als sie einig waren, wem sie den ersten gäben, wählten sie eine Dame, händigten ihr den Ring ein und sagten ihr heimlich, wem sie ihn zu geben habe. Dann gingen die ältesten und vornehmsten Herren, je zwei und zwei mit Fackeln vor ihr her, und hinter ihnen schritt die Dame zwischen den Turniermeistern, alten Herren von ausgezeichnetem Adel, und hinter ihr kamen bei zwanzig Damen zu zwei und zweien. So durchschritten sie den Saal, bis sie den Sieger antrafen; und bis sie seiner gewahr werden, würden sie ihn niemals rufen, noch seinen Namen nennen. Als sie ihn dann gefunden hatten, sprach die Dame zu ihm: Weil er für den Geschicktesten und Tapfersten gehalten werde, sei er solcher Ehre würdig; und sie steckte ihm den Ring an die Hand und tanzte mit ihm, unter Vortritt von Edelleuten mit Fackeln.“

Die Preisübergabe. Foto: KW.

Ganz so stilvoll ging es in Schaffhausen bei der Übergabe des Preises natürlich nicht zu. Kein anschließendes Fest mit prächtig gekleideten Teilnehmern nach dem Turnier. Stattdessen wurden die Kleinode gleich nach dem Kampf übergeben.

Der Laune der modernen Zuschauer auf dem Herrenacker tat dies natürlich keinen Abbruch. Es war großartig, so einen authentischen Blick ins Mittelalter tun zu dürfen, der die Augen schärft für all den Unsinn, der zur Zeit unter diesem Begriff durch die Lande tourt.

Wer das Turnier von Schaffhausen verpasst hat und trotzdem mehr über experimentelle Archäologie in Verbindung mit dem Reitsport erfahren will, dem sei ein Besuch der fürstlichen Hofreitschule von Bückeburg empfohlen, wo Wolfgang, Christin und Diana Krischke ein vielseitiges Programm bieten. Es gibt ein Marstallmuseum und historische Stallungen zu sehen, dazu werden im Renaissance-Reithaus Vorführungen mit barocker Reitkunst organisiert.

Außerdem ist die Turnier-Ausstellung in Schaffhausen noch bis zum 21. September zu sehen.
Wir berichteten über die Ausstellung.

Und natürlich gibt es eine eigene Website.

Ein spektakuläres Video finden Sie hier.

Ein Interview mit einem der Ritter wurde ebenfalls gemacht.