Die babylonische Hure – oder religiöse Toleranz vor dem Dreißigjährigen Krieg

Nur wenig wird geschrieben über die Zeit zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg. Vielleicht ist diese Periode der wirtschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Blüte nicht spektakulär genug für die Historiker. Die Numismatik allerdings liefert wunderbare Zeugnisse einer religiös geprägten, zur Toleranz bereiten, (gebildeten) Gesellschaft vor dem großen Krieg.

Er fiel nämlich schon ein wenig aus dem Rahmen, dieser Ernst von Holstein-Schaumburg, jüngster Sohn des Grafen Otto IV. von Schaumburg. Geboren im Jahre 1569 in Bückeburg, hatte er keinerlei Aussicht auf eine eigene Herrschaft. Also tat der Vater, was damals viele Adlige taten. Er schickte seinen Sohn auf die Schule, um ihm eine Ausbildung zu bieten, mit der er als Beamter eines reichen und mächtigen Fürsten sich den Lebensunterhalt verdienen könne.
Er besuchte die Lateinschule in Stadthagen, ging mit 15 Jahren an die Universität, und danach kam eine Bildungsreise nach Italien. Auf dem Weg dahin, versäumte es der junge Protestant selbstverständlich nicht, den (katholischen) Kaiser aufzusuchen. Schließlich wäre der Kaiser als Arbeitsgeber für jeden Adligen die erste Wahl gewesen.

Graf Ernst von Holstein-Schaumburg (1569-1622), Gemälde von Hans Rottenhammer, 1612. Quelle: Wikicommons.

Diese kluge Planung wurde überflüssig, da nicht nur alle Brüder von Ernst starben, sondern auch deren Nachkommen. So übernahm Ernst die Grafschaften Holstein und Schaumburg. Er gehörte zu den gebildeten Fürsten des Reichs. Schließlich hatte er eine bessere Ausbildung erhalten als die meisten seiner Standesgenossen. Ernst wurde zu einem Förderer der Kultur. Er gründete eine Universität, ließ sich von bedeutenden Künstlern seiner Zeit einen prächtigen Regierungssitz bauen und wirkte als freigebiger Mäzen. Er förderte den protestantischen Theologen und Historiker Cyriakus Spangenberg genauso wie den Alchemisten Michael Maier.

Der Hof des Ernst von Holstein-Schaumburg war ein Treffpunkt der gebildeten Gesellschaft. Und auch wenn der Fürst ein überzeugter Protestant war, waren Katholiken hier willkommen. Ernst arbeitete hervorragend mit dem katholischen Kaiser zusammen, erkaufte von ihm sogar noch nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges den Fürstenrang gegen ein Darlehen von 100.000 Gulden.

Diese Tatsache zeigt deutlich, dass der Konflikt zwischen Kaiser und Pfalzgraf um Böhmen zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges nicht von allen gleich als Religionskrieg verstanden wurde. Auch wenn Protestanten, Reformierte und Katholiken vehement die theologischen Details der Nachfolge Christi diskutierten, taten die Gebildeten unter ihnen dies mit dem Vertrauen darauf, dass Gott am Ende der Zeiten selbst zeigen werde, wie er verehrt zu werden wünsche. Genau diese Geisteshaltung bringt ein enigmatisches Objekt zum Ausdruck, das als biblischer Taler bekannt geworden ist. Der Münzmeister Christoph Feistell von Altona hat in den Jahren zwischen 1618 und 1620 im Auftrag von Ernst von Holstein-Schaumburg eine Schaumünze, also eine Medaille im Gewicht eines Talers und eines Halbtalers geschaffen, die beide in der kommenden Auktion Künker 244 am 6. Februar 2014 angeboten werden.

Ernst von Holstein Schaumburg, 1601-1622. Schaumünze im Gewicht eines Talers. Lange 837. Aus Auktion Künker 244 (6. Februar 2014), Nr. 315). Von größter Seltenheit. Vorzüglich. Schätzung: 25.000 Euro.

Sie zeigt auf der Vorderseite die große Hure Babylon. Die Bibelstelle in der Apokalypse des Johannes, in der dieses schreckliche Symbol der vom Teufel beherrschten Welt beschrieben wird, kannte im 16. Jahrhundert jeder Theologe: „Dort sah ich eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das über und über mit gotteslästerlichen Namen beschrieben war und sieben Köpfe und zehn Hörner hatte. Die Frau war in Purpur und Scharlach gekleidet und mit Gold, Edelsteinen und Perlen geschmückt. Sie hielt einen goldenen Becher in der Hand, der mit dem abscheulichen Schmutz ihrer Hurerei gefüllt war. Auf ihrer Stirn stand ein Name, ein geheimnisvoller Name: Babylon, die Große, die Mutter der Huren und aller Abscheulichkeiten der Erde. Und ich sah, dass die Frau betrunken war vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu.“ Welche Macht dieser schrecklichen Gestalt gegeben war, liest man zusätzlich in der frühneuhochdeutschen Umschrift – übersetzt: Die rote Hure den Drachen reitet, den Kelch des Gifts und Gräuels trägt [sie].

Detail aus der obigen Medaille.

Zu ihren Füßen links unten ist eine der Waffen des Bösen abgebildet: ein seltsames Mischwesen aus Heuschrecke und Skorpion – deutlich hat der Stempelschneider den Stachel des Skorpion mit den starken Beinen der Heuschrecke kombiniert. Diese Tiere bringt die fünfte Posaune, um die geplagten Christen noch mehr zu foltern: „Der fünfte Engel blies die Posaune. Und er öffnete den Schacht des Abgrunds. Da stieg Rauch aus dem Schacht auf. Aus dem Rauch kamen die Heuschrecken über die Erde, und ihnen wurde Kraft gegeben, wie sie Skorpione auf der Erde haben. Es wurde ihnen gesagt, sie sollten dem Gras auf der Erde, den grünen Pflanzen und den Bäumen keinen Schaden zufügen, sondern nur den Menschen, die das Siegel Gottes nicht auf der Stirn haben.“

Detail aus der obigen Medaille.

Hatten die Urchristen diesen während der letzten Jahre der Herrschaft Domitians geschriebenen Text auf den Kaiser und den Kaiserkult bezogen, sahen die Anhänger Luthers und Calvins in der in Purpur und Scharlach gekleideten Frau ein Symbol der auf Prunk bedachten katholischen Kirche. Sie würde sicher mit dem Retter der Frommen Krieg führen müssen. Aber am Ende würde selbstverständlich das Gute siegen, versinnbildlicht im weißen Lamm: „Sie (= die Mächte, die in dem siebenköpfigen Tier vertreten sind) werden mit dem Lamm Krieg führen, aber das Lamm wird sie besiegen. Denn es ist der Herr der Herren und der König der Könige. Bei ihm sind die Berufenen, Auserwählten und Treuen.“

Ernst von Holstein Schaumburg, 1601-1622. Schaumünze im Gewicht eines halben Talers. Lange 838. Aus Auktion Künker 244 (6. Februar 2014), Nr. 316). Von größter Seltenheit. Vorzüglich. Schätzung: 25.000 Euro.

Und so eilt das weiße, unschuldige Lamm schon von der rechten, der richtigen, Seite herbei, um die Hure Babylon anzugreifen. Sein Sieg ist gewiss, was die Rückseiteninschrift der Schaumünze mit dem Bild des Grafen als gewappneter Ritter zum Ausdruck bringt: Hat es Gott vorherbestimmt, wird es geschehen.

Trotz ihres kriegerischen Ansehens ist diese Schaumünze eine klug ausgedachte Mahnung zur Besonnenheit. Die Verwerflichkeit der römischen Kirche wird darauf zwar als Tatsache betont, aber die Entscheidung über den Kampf gegen „das Böse“ gebührt – so die Rückseiteninschrift – nicht dem Menschen, sondern Gott. Ernst wird seine Medaillen zusammen mit einem Brief wohl als Verehrung – wie man damals ein Geschenk nannte – an alle ihm bekannten Entscheidungsträger geschickt haben, um seine Einstellung öffentlich zu machen.
Mit dieser Politik konnte Ernst gläubiger Protestant und gleichzeitig treuer Untertan des Kaisers bleiben. Und als solcher ist er am 17. Januar 1622 auch gestorben. Sein Nachfolger Jobst Hermann von Holstein-Schaumburg war ein Katholik, der seine protestantischen Gebiete sorgsam durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges steuerte. Und auch dessen Erbe, ein Kalvinist, bewahrte den Glauben seiner Untertanen, bis mit ihm am 14. November 1640 noch vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges das Geschlecht der Schaumburger ausstarb.