Der Frevel der Tarpeia – oder Propaganda unter Augustus

Im Jahre 14 n. Chr., kurz nach dem Tod des Augustus, stellte ein vielleicht nicht ganz uneigennütziger Senator den Antrag, man möge die gesamte Lebenszeit des verstorbenen Kaisers als das Augustaeisches Zeitalter in den Staatskalender eintragen. Das traf den Geist der Zeit. Die Römer hatten nach dem Tod des Augustus den Eindruck, er – ein einzelner aufrechter Bürger – habe sie aus den Wirren der Bürgerkriege heraus geführt, er allein habe die egoistischen Machtkämpfe der streitenden Imperatoren beendet und die Republik wieder hergestellt, in der die alten Tugenden, die echten römischen Wert wieder herrschten. Nur ihm sei es zu verdanken, daß in Rom wieder alle Bürger gemeinsam am Wohl des römischen Volkes arbeiteten.

Augustus, 27 v. Chr. – 14 n. Chr. Denar, 19 v. Chr., Rom. Münzmeister P. Petronius Turpilianus. Rv. TVRPILIANVS III VIR Tarpeia unter Berg von Schilden. RIC 299. Aus Auktion Giessener Münzhandlung 180 (2009), 347.

Wenn die meisten römischen Bürger die Situation so einschätzten, dann lag das mit Sicherheit auch an der wohlüberlegten Propaganda, die Augustus geschickt einzusetzen wußte. Nie hätte auch nur einer es gewagt, Augustus einen Alleinherrscher, einen Tyrannen zu nennen und damit … die Wahrheit auszusprechen. Nein, Augustus war ein Bürger unter gleichen.

Und so tritt er uns auch auf dieser Münze entgegen. Ganz zivil, nicht wie spätere Kaiser mit dem triumphierenden Lorbeerkranz, nicht mit Rüstung und Mantel des Feldherren. Und die Titel könnten auch nicht einfacher sein: CAESAR AVGVSTVS. Wohlgemerkt, Titel, seinen eigentlichen Namen Octavianus benutzte der erste Bürger nie auf Münzen. Da war der Name seines Adoptivvaters Caesar viel zugkräftiger. Und dieser Name wurde Programm. Während die anderen Mitbewerber im Kampf um die Macht sich selbst in den Mittelpunkt ihrer Münzprägung stellten, drehte sich bei Augustus alles um Caesar. Ich bin der Sohn des geliebten Ermordeten, den ihr, das römische Volk, vergöttlicht habt, so scheint jede seiner Prägungen aus der Zeit der Bürgerkriege zu sagen.

Augustus als Pontifex Maximus beim Opfer. Nationalmuseum Rom. Foto: Jastrow / Wikipedia.

Augustus setzte mit diesem Titel in seiner Anfangszeit nicht auf konkrete Botschaften, sondern auf die Emotionen, die er als jugendlicher Verteidiger der Rechte seines ermordeten Vaters auf sich zog. Aber über dieses Stadium war er zur Zeit der Prägung unserer Münze schon weit hinaus. Seit 27 v. Chr. durfte er sich nämlich zusätzlich noch AVGVSTVS nennen. Ein ehrwürdiger Titel, der den Römer an Augur erinnerte, an die Priester, die im Vogelflug das Schicksal des römischen Volkes erkundeten. Augustus zu übersetzen dürfte ebenso schwierig sein, wie von einem Schüler eine korrekte Interpretation des Wortes cool zu erhalten. Zu viel schwang für einen Römer bei dem Wort Augustus mit: Ehrwürdigkeit, Heiligkeit, Erhabenheit; kurz dieser Titel bezeichnete einen Menschen, den die Götter den Römern geschenkt hatten, um ihr verworrenes Schicksal wieder in die rechte Ordnung zu bringen; das ewig junge göttliche Kind, das auch auf Münzen und Reliefs nie alterte und damit das neue goldene Zeitalter einläutete.

Der Tarpeijische Felsen in Rom. Foto: Lalupa / Wikipedia.

Wie paßt nun aber die Rückseitendarstellung zu diesem Heilsbringer? Sie zeigt Tarpeia, Namensgeberin des Tarpejischen Felsens, von dem aus in Rom die Verräter in den Tod gestürzt wurden. Und auch Tarpeia war eine Verräterin, die den Römern fast das Verderben gebracht hätte. Als nämlich in grauer Römischer Vorzeit die Sabiner die Römer bekriegten, um den Diebstahl ihrer Töchter zu rächen, verriet sie die Römer an ihre Feinde. Ihr Vater war nach Livius der Festungskommandant und so hatte das junge Mädchen die Möglichkeit, den feindlichen Soldaten den Weg in die Burg zu öffnen. Warum sie dies tat, ist bei verschiedenen Schriftstellern unterschiedlich überliefert. Die einen behaupten, sie sei eine der geraubten Sabinerinnen gewesen und hätte es aus Rache getan, die anderen schreiben, es sei Liebe im Spiel gewesen. Aber halten wir uns an das, was in Augustäischer Zeit gerade aktuell war. Livius berichtet, Tarpeia wäre bestochen worden. Die Armreifen aus Gold, die die Sabiner an ihrem linken Arm trugen, hätten ihre Begehrlichkeit geweckt. So verriet die Jungfrau die Römer für das, was die Sabiner an ihrem linken Arm tragen würden. Am Tag des Überfalls hatten die Angreifer allerdings ihren kostbaren Schmuck abgelegt: sie trugen nur mehr die schweren Schilde am Arm. Mit diesen „belohnten“ sie Tarpeia, warfen sie auf sie bis sie unter der Last begraben wurde.

So kann denn der Beschauer der Münze heute noch die Lehre ziehen, daß Verrat sich nicht lohnt. Und so wurde auch dem römischen Benutzer vor Augen geführt, daß der römische Staat zu stark und mächtig war, als daß er durch den Verrat des einzelnen zu Grunde gerichtet werden könnte. Die Götter waren auf Seiten des Staates und so unterstützte Iupiter höchstpersönlich das römische Heer, als es versuchte, das Kapitol zurückzuerobern. Der Streit wurde beendet als sich die geraubten Sabinerinnen zwischen ihre kämpfenden sabinischen Väter und ihre römischen Ehemänner warfen. Der Weg zu einer friedlichen Lösung war damit gewiesen. Und hier sind wir wieder auf der anderen Seite der Münze. Im Bürgerkrieg waren es keine Sabinerinnen, die das Volk einten, sondern Augustus. Und so können wir heute die Botschaft der Münze lesen: Solange mit Augustus die Tugend herrscht, kann uns keine Tarpeia schaden.

Ach ja, noch kurz ein paar Worte dazu, wer denn für die Propaganda zuständig war. Hier zeichnet nämlich ein Münzmeister namens Publius Petronius Turpilianus verantwortlich. Augustus hatte in Rom die Überwachung der Münzprägung und die Auswahl der Themen, die die Imperatoren an sich gerissen hatten, wieder an die eigentlich zuständigen Beamten übergeben. Dies war eine weitere Maßnahme, durch die er sich in den Augen der republikanischen Römer so wohltuend von den bisherigen Machthabern absetzte. Und so war es ein Beamter, der in seinem, von ihm selbst ausgewählten und auf seine eigene Abstammung hinweisenden Münzmotiv seine Loyalität gegenüber Augustus zum Ausdruck brachte. Wir können hier fassen, wie weit die Augustäische Politik von der gesamten römischen Bevölkerung mitgetragen wurde. Und wie weit der Dank an den verehrten Herrscher selbst wieder zur Propaganda wurde.