Das traurige Schicksal der Wilhelmine Amalie

Wilhelmine Amalie kam am 21. April 1673 als Tochter von Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Calenberg auf die Welt. Sie stammte damit aus einem der bedeutendsten Herrscherhäuser des Deutschen Reichs. Die verschiedenen Zweige der Welfen herrschten über Braunschweig, dessen reiche Silberminen die Braunschweiger zu einem wichtigen Faktor in der europäischen Politik machten. Und die Welfen waren traditionell protestantisch, hätte sich nicht eben jener Johann Friedrich, dritter Sohn Herzog Georgs von Braunschweig-Calenberg, auf einer der üblichen Bildungsreisen nach Italien in Assisi zur katholischen Kirche bekehrt. 

Wilhelmine Amalie. Kupferstich von 1703.

Damit waren die Karten neu gemischt. Die Töchter Johann Friedrichs kamen nun auch für die katholischen Herrscherhäuser als Gattinnen in Frage. Nach dessen frühen Tod im Jahre 1679 ging die Mutter mit den Mädchen ins Zisterzienserinnenkloster Maubuisson, wo ihre Schwester Äbtissin war. Anlässlich der Vermählung der älteren Schwester kamen beide 1694 wieder an den Hof von Hannover zurück. Die 21jährige Wilhelmine Amalie bezauberte mit ihrer großen Schönheit, ihrem frommen und ernsten Wesen die höfische Gesellschaft. Bald sprach toute l’Europe von ihr.

Joseph I. Kupferstich von 1703.

Natürlich hörte man auch in Wien von der schönen Welfin. Sie war doppelt attraktiv. Erstens konnte man durch sie endlich die diplomatisch wichtige Verbindung zu den Welfen festigen. Diese waren immerhin Anwärter auf den englischen Thron, so dass damit auch ein Band nach Großbritannien geknüpft wurde.
Und dann schien Wilhelmine Amalie höchst geeignet dazu, den viel zu temperamentvollen Kronprinzen endlich in den Griff zu bekommen. Der sah gut aus mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen und ohne die vorstehende Habsburger Lippe. Allerdings mochte er die Frauen ein bisschen gar zu sehr. Er habe, so raunte man, schon im Alter von 15 Jahren drei Affären gleichzeitig gehabt. 

Am 22. November 1698 erfolgte die Verlobung, am 24. Februar 1699 die Hochzeit. Noch im Jahr der Hochzeit wurde eine erste Tochter geboren, ein Jahr später ein Thronfolger, der allerdings nur wenige Monate nach der Geburt verstarb. 1701 folgte Maria Amalie, die dritte und letzte Tochter.

Denn Wilhelmine Amalie wurde durch Geschwüre im Unterleib unfruchtbar. Diese dürfte sie ihrem Gemahl Joseph I. verdankt haben, der sie mit einer der damals äußerst verbreiteten venerischen Krankheiten angesteckt hatte. Wilhelmine Amalie verlor dadurch ihren Status als geliebte Ehefrau und mutierte zu einer Gemahlin, die sich mit den zahlreichen Mätressen ihres Gemahls abfinden musste.

Goldmedaille zu 50 Dukaten o. J. (1713), von A. di Gennaro. AMALIA WILHELMINA D G R IMP H & B REG NATA DUX BRUNS & LUN IOS I VID Brustbild Wilhelmine Amalies r. mit Witwenschleier, darunter Signatur DE GENNARO F // RECTE ET CONSTANTER Gekrönte Säule vor Landschaft. Äußerst selten. Vorzüglich. Aus Auktion Künker 308 (19. Juni 2018), Nr. 2379.

In dieser persönlich sicherlich schmerzhaften Situation entstand das Rückseitenbild, das für die junge Witwe Wilhelmine Amalie noch einmal aufgegriffen wurde. Es spricht von der Trauer, aber auch von dem Pflichtbewusstsein der jungen Kaiserin.
Das Motto lautete „recte et constanter“, also „gerade und beständig“. Alle, die sich in der damals sehr weit verbreiteten Kunst der Emblematik auskannten, sahen sofort, dass die Darstellung dieses Motto unterstrich.
Das Rückseitenmotiv, eine Säule auf breiter Basis, wird im Lexikon der Emblematik folgendermaßen gedeutet: „Wie die hohe Säule durch ein aufgelegtes Gewicht umso fester wird, wenn sie auf einer breiten Basis errichtet ist, so ziemt es den hohen Geistern, die in einem edlen Körper wohnen, der Last des Herrschens nicht ausweichen zu wollen, sondern sich vielmehr aufs äußerste zu bemühen, damit nicht gleich das ganze Gebäude einstürzt, wenn die Säule vielleicht einmal ins Schwanken gerät.“
Die Verbindung zwischen Krone und Säule impliziert noch einen weiteren Aspekt: „Eine Säule erhält sich selbst in ihrem eigenen Gewicht. Soll sie sich aber auf eine Seite neigen, so muss sie also fallen und je schwerer sie ist, umso schneller geschieht der Fall. Genauso verhält es sich mit den Reichen. … Deshalb, wo die Krone nicht fest stehenbleibt auf der schnurgeraden Säule des Ansehens, wird das Reich bald zu Grunde gehen.“
Mit anderen Worten, Wilhelmine Amalie teilte damit der höfischen Welt mit, dass sie bereit war, ihre Verantwortung zu übernehmen, und das trotz ihrer menschlich unbefriedigenden Situation.
Aber sehen wir noch einmal genau hin: Im Hintergrund der Säule sieht man zwei Schiffe auf stürmischer See, die unabhängig voneinander segeln. Wahrscheinlich ein Bild für das sich entfremdende Ehepaar. Ob der Tempel vielleicht als Zeichen der Hoffnung gemeint ist? Immerhin stand der Tempel in der Emblematik auch für die Eintracht innerhalb der Ehe, die durch gegenseitiges Verzeihen entstehen konnte.

Wenn dies so gewesen sein sollte, wurde die Hoffnung von Wilhelmine Amalie enttäuscht. In den sechs Jahren, die Joseph I. auf dem Kaiserthron vergönnt sein sollten, kehrte er nicht zu ihr zurück, sondern hielt sich Mätressen. Der letzten von ihnen vermachte er Schmuck und Kleider im Wert von 500.000 Gulden. Zum Vergleich, seine Mutter Eleonore erhielt gerade einmal 50.000 Gulden.

Wilhelmine Amalie war also mit 38 Jahre Witwe. Eine Witwe, von deren Unfruchtbarkeit halb Europa wusste. Eine Heirat stand damit nicht mehr zur Debatte. Eine Regentschaft auch nicht. Wilhelmine Amalie und ihre Töchter wurden auf die Seite geschoben. Karl VI., Bruder Josephs I., trat die Erbfolge an.

Für Wilhelmina Amalie wurde noch einmal eine offizielle Medaille ausgeben, die das Motiv der Medaille wiederholte, die bei ihrer Kaiserkrönung hergestellt worden war. Verantwortlich zeichnete Antonio Maria de Gennaro, den Karl VI. an die Wiener Münzstätte geholt hatte. Wie mag es Wilhelmina Amalie empfunden haben, mit diesem Rückseitenmotiv daran erinnert zu werden, dass sie bei ihrer Kaiserkrönung versprochen hatte, „gerade und beständig“ zum Wohle des Reichs zu wirken – und nicht zu ihrem eigenen?

Grab Kaiserin Wilhelmine Amalie. Foto: krischnig / Wikipedia.

Wilhelmine Amalie wurde mit ihren Töchtern in Schloss Schönbrunn einquartiert. Erst lange nachdem Karl die Mädchen zum (vermeintlichen) Wohle des Reichs verheiratet hatte, zog sich die einstige Kaiserin in das von ihr gegründete Kloster der Salesianerinnen zurück, wo sie im Alter von 69 Jahren starb. Ihr Körper wurde in eben diesem Kloster zu Grabe getragen. Ihr Herz aber liegt zu Füßen ihres untreuen Gemahls in der Kapuzinergruft.

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