Türkischer Frühling – Teil 9

[bsa_pro_ad_space id=4]

von Ursula Kampmann

27. Juni 2013 – Wie gesagt, es ist ein klassischer Ausflug: Priene, Milet, Didyma. Die beiden letzten Städte hatten wir schon in der vorhergehenden Folge vorgestellt. Am Tag darauf fuhren wir nach Priene.

Dienstag, 30. April 2013
Natürlich besuchten wir Priene nicht am Vormittag. Denn, wie bereits beschrieben, folgen die Veranstalter einem festen Schema beim Gestalten ihrer Ausflüge: „Priene, Milet, Didyma“ bedeutet, dass Priene morgens überlaufen ist, während später am Tag tiefster Frieden herrscht.

Phygela (Ionien). Hemiobol, ca. 400-350. Gorny & Mosch 212 (2013), 2008.

Wir verbrachten den Vormittag in Kusadasi. Tausende von Touristen bleiben hier mehrere Wochen lang. Wir müssten, so dachten wir, dann doch wenigstens für einen halben Tag Beschäftigung finden. Museum gibt’s nicht. Dafür ein Factory Outlet. Kein Wunder, denn Kusadasi hat keinen antiken Vorgänger. Wobei es mittlerweile derart groß geworden ist, dass es die Ruinen einiger griechischer Städte überwuchert. Man bringt eine Hafenstadt namens Neapolis und ein Örtchen namens Phygela mit Kusadasi in Verbindung. Doch seine Wurzeln liegen erst im 13. Jh., als ein neuer Hafen (Scala nova) gegründet wurde, um den venezianischen und genuesischen Handel mit Kleinasien zu intensivieren.

Die Karawanserei von Kusadasi. Foto: KW.

1413 eroberten die Osmanen den Hafen. Sie umgaben die Stadt mit einer Mauer und bauten die Karawanserei, die heute das touristische Zentrum der Stadt bildet. Im 19. Jh. verlor Kusadasi seine Bedeutung als Handelshafen. Es geriet in Vergessenheit, bis in den 70er Jahren der Tourismus die romantische Bucht zu entdecken begann. Wegbereiter war dabei übrigens auch Hümeyra Sultan, die Gründerin des Hotels Kismet, wo wir Quartier genommen hatten (siehe Folge 7). Sie verliebte sich in den 60er Jahren in den Platz. In ihrem Luxushotel verkehrte die High Society. Danach kamen die Individualtouristen, danach die Reisegruppen, und heute ist Kusadasi ein austauschbares Einkaufszentrum für Touristenplunder. Man spricht Deutsch – und Englisch – und Russisch – und reagiert höchst ungehalten, wenn einer versuchen sollte, auf Türkisch etwas so Bescheidenes wie einen Tee zu bestellen.
Eine halbe Stunde liefen wir vom Hotel in die Innenstadt, 20 Minuten flohen wir dort vor aggressiven Teppich- und Lederjackenverkäufern. Dann hatten wir genug. Wir setzten uns an die Strandpromenade, um von dort aus den Parkplatz für Kreuzfahrtschiffe zu beobachten.

Migros ist in der Türkei überall. Foto: KW.

Wir aßen überteuerte Winz-Fleischspießchen und hatten danach noch mehr Hunger als zuvor. So entschieden wir uns für ein romantisches Mittagessen auf dem Balkon, für das wir in der lokalen Migros einkauften. Ja, Sie haben richtig gelesen, Migros, genau wie in der Schweiz.
Im Jahr 1954 gründete nämlich die Migros-Genossenschaft ein Tochterunternehmen, die Migros Türk. Türkische Politiker sahen darin damals eine Lösung für ein großes Problem: Die Bevölkerung wuchs, und die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu vernünftigen Preisen war gerade auf dem Land nicht gewährleistet. So brachten also ab 1954 Migros-eigene Lastwagen nach einem festgelegten Fahrplan Lebensmittel in abgelegene Gebiete. Später baute man Selbstbedienungsläden. Inzwischen ist das einstige Tochterunternehmen unabhängig und mit derzeit 687 Filialen die größte Supermarktkette der Türkei.

Wenn Sie mehr über das Migros-Konzept wissen wollen, sollten Sie diesen Artikel in der MünzenWoche lesen.

Wir versorgten uns also mit Oliven, Schafskäse, Brot, Joghurt, Tomaten und worauf wir sonst noch Lust hatten. Und erst am späten Nachmittag gingen wir wieder aus dem Haus, um nach Priene zu fahren, das von weither sichtbar auf einem eindrucksvollen Fels thront.

Priene (Ionien). Diobol, 290-270. Lanz 154 (2012), 181.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum eine Stadt auf einem Berg ausgerechnet das Attribut des Gottes Poseidon auf ihren Münzen führt? Nun, die Erklärung ist einfach: Erstens besaß Priene tatsächlich einen Hafen – es lag an der Küste der gebirgigen Halbinsel Mykale. Dort wo früher Meer war, ist heute Schwemmland. Und dann gehörte zum Stadtgebiet das Panionion, das dem Poseidon geweihte Zentrum des Ionischen Städtebundes.
Wann genau (und übrigens auch wo) die Stadt gegründet wurde, ist bis heute unbekannt. Man hat noch keine archäologischen Funde mit dem alten Priene in Verbindung bringen können.
Und in dieser Stadt lebte einer der Sieben Weisen, Bias von Priene. Er soll um 550 eine der führenden Gestalten in Ionien gewesen sein. Berühmt geworden ist sein (nicht historischer) Rat an die von den Persern eroberten Ionier: Man solle statt zu kämpfen auf Sardinien eine neue, gemeinsame Stadt gründen. Hoffen wir, dass Bias in seinem Beruf realistischer war. Er galt als brillanter Anwalt, der sprichwörtlich wurde. Eine gutes Plädoyer beschrieb man in der Antike mit den Worten: Er hat vor Gericht besser als Bias von Priene gesprochen.
Folgende Weisheiten sollen aus seinem Munde stammen:
– Die meisten Menschen taugen nichts.
– Hasse das schnell Sprechen, damit du nicht einen Fehler machst.
– Einen Unwürdigen lobe nicht wegen seines Reichtums.

Stadtplan auf einer Erklärungstafel. Foto: KW.

Trotz aller politischen Weisheit, Priene ließ es sich nehmen, beim verunglückten Ionischen Aufstand dabei zu sein. Es wurde von den Persern erobert und gebrandschatzt. Damit war die wirtschaftliche Blüte gekappt, denn als Mitglied des Attischen Seebundes zahlte es nur sporadisch seine Beiträge. Doch irgendwann im 4. Jh. verließen die Bewohner von Priene ihre alte Siedlung und legten ihre neue Stadt dort an, wo wir sie heute besichtigen können.

Maussollos, karischer Dynast, 377-353. Tetradrachme. Gorny & Mosch 199 (2011), 472.

Man will diese Neugründung mit Maussollos, dem Dynasten von Karien in Verbindung bringen. Er folgte 377/6 seinem Vater Hekatomnos in das Amt eines Satrapen. Zu seiner Zeit war die persische Zentralmacht im Schwinden, und so agierte er ziemlich unabhängig. Wohl um die Wirtschaftskraft des von ihm beherrschten Gebietes zu stärken, initiierte er die Verlegung einiger einst bedeutender Städte, darunter Knidos, Erythrai und eben Priene.

Priene. Tetradrachme 280-275 nach dem Alexandertypus. Gorny & Mosch 170 (2008), 1282.

Die Bauarbeiten hatten noch kaum begonnen, als Alexander Kleinasien eroberte. Er machte den Aufbau des von den Persern so schwer getroffenen Priene zur Chefsache und bezahlte höchstpersönlich den Tempel für Athena.

Siegel des Nikolaos, Mönch und Bischof von Priene. Peus 376 (2003), 1399.

Was dann geschah, wissen wir eigentlich schon. Erst war Priene seleukidisch, dann kam es unter den Machtbereich von Pergamon und nach dem Tod des Attalos III. wurde die Stadt Teil der Provinz Asia. Im 5. Jh. war Priene Bischofssitz. Um 1300 eroberten die Türken das Gebiet. Sie zogen in die Ebene, so dass Priene völlig verlassen war, als die Reisenden im 17. Jh. die eindrucksvolle Ruinenstadt zu einem „Must“ für jede Kleinasientour deklarierten.

Der bekannte Blick auf den Athenatempel. Foto: KW.

Wir wissen relativ viel über diesen Bau. Nicht, weil uns die Bauinschrift Alexanders des Großen erhalten ist, sondern weil Vitruv uns überliefert, dass der verantwortliche Architekt Pythios von Priene war, der Kommentare zur Baukunst geschrieben hat, die Vitruv zweimal zitiert. Dieser Pythios soll übrigens auch am Mausoleum des Maussollos mitgewirkt haben.

Wenn Sie sich ein Bild der Bauinschrift ansehen wollen, klicken Sie hier.

Die Verbindung der verschiedenen Niveaus wurde mittels Treppen hergestellt. Foto: KW.

Über eine relativ steile Treppe stiegen wir hinunter zur Agora.

Agora von Priene. Foto: KW.

Sie bildet als Zentrum von Handel und Verwaltung den geographischen Mittelpunkt der Stadt.

Blick auf einen Teil der heiligen Halle. Foto: KW.

Im Norden begrenzte die so genannte heilige Halle die Agora. Sie wurde aus den Mitteln der kappadokischen Könige finanziert. Orophernes, der einen Krieg gegen seinen Bruder Ariarathes V. führte, hatte nämlich im Athenatempel der Stadt 400 Talente Silber deponiert – bekanntlich dienten die Tempel in der Antike ja als Banken. Doch wie das bei Diktatorengeldern so ist: Sobald Ariarathes V. sicher im Sattel saß, forderte er die 400 Talente von Priene zurück. Erst weigerte sich die Stadt, doch Ariarathes rückte mit einem Heer an. Er plünderte das Umland und belagerte die Stadt, die sich hilfesuchend an die Römer wandten. Die handelten einen Kompromiss aus. Ariarathes bekam das Geld zurück, Priene blieb die Eroberung erspart. Und in diesen Zusammenhang wird dann wohl die Stiftung der heiligen Halle gehören, womit das gute Verhältnis zwischen König und Stadt wieder hergestellt war.

Tempel des Asklepios. Foto: KW.

Im Osten der Agora liegt ein Tempel des Asklepios, den man früher dem Zeus zuschrieb. Hier wurde im 13. Jh. ein byzantinisches Kastell gebaut, um sich vor den Osmanen zu schützen.

Das Theater. Foto: KW.

Und schon wieder besichtigten wir ein Theater. Irgendwie scheint es die in Massen zu geben. Sie sehen alle gleich aus und unterscheiden sich hauptsächlich durch die Zahl der Besucher, die sie aufnehmen konnten. Dieses fasste rund 6.500 Zuschauer, also ziemlich genau alle Bewohner der Stadt.

Stadttor. Foto: KW.

Im Gegenlicht lag das Stadttor, das durch die 2,5 Kilometer lange Stadtmauer einen Eingang ins Stadtinnere bot. 6 Meter hoch und etwa 2 Meter dick war die Mauer. Sie umfasste mit ihren 16 Türmen ein Stadtgebiet von eindrucksvollen 37 Hektar. Davon war natürlich nur die Hälfte bebaut bzw. überhaupt dafür geeignet. Der Rest diente im Kriegsfall dazu, die Bevölkerung der umliegenden Gebiete und ihrem Vieh Schutz zu bieten.

In der nächsten Folge geht es wieder eine Etappe weiter. Wir quartieren uns in Pamukkale ein und machen von dort einen Ausflug nach Aphrodisias. Begleiten Sie uns, wenn wir miterleben, wie effektiv der deutsche ADAC auch in der tiefsten Türkei helfen kann.

Alle Teile der Serie „Türkischer Frühling“ finden Sie hier.