Karl der Große und die Schweiz

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von Ursula Kampmann

26. September 2013 – Am Anfang war das Wort. Die Versuchung, mit den Worten aus dem Johannesevangelium diesen Beitrag zu beginnen, war einfach zu groß. Denn tatsächlich steht am Beginn der Ausstellung nicht ein Marketing-Team, das nach einem reizvollen Thema gesucht hat, sondern eine Gruppe von Wissenschaftlern, die in mühevoller Kleinarbeit all die dinglichen Spuren der karolingischen Kultur in der Schweiz geortet, sortiert und katalogisiert hat.

Eingang zur Ausstellung. Foto: UK.

Ergebnis dieser Spurensuche ist ein umfassendes Buch mit dem Titel „Die Zeit Karls des Grossen in der Schweiz“. Und ein Nebenprodukt sollte die Ausstellung sein. Doch dass dies sich verselbstständigt hat, und die Ausstellung zu einer großartigen Gesamtschau karolingischer Kunstwerke geworden ist, das steht auf einem anderen Blatt.
Jedenfalls hat die MünzenWoche sich die neue Ausstellung angesehen. Und wir waren begeistert. Im übersichtlichen Rahmen sind hier viele hochwertige Kunstwerke versammelt, die zumindest eine Vorstellung davon vermitteln, wie prachtvoll die kaiserliche Präsenz Karls des Großen einst gewesen sein muss.

Reiterstatue Karls des Großen aus Bronze, für den Dom zu Metz hergestellt unter Karl dem Kahlen (843-877). Bronzereplik. Louvre / Paris. Foto: UK.

Das erste Thema der Ausstellung ist – natürlich – Karl der Große selbst und seine Familie. Prominent steht die berühmte Reiterstatue von ihm, geschaffen für den Dom zu Metz unter Karl dem Kahlen, im Saal. Es handelt sich allerdings um eine Kopie, denn als Erbe des französischen Staates, der in Charlemagne seinen Gründer sieht, darf das Original nicht (mehr) ausgeliehen werden.
Mit Hilfe von vielen Bildern, Filmszenen und Hörstationen wird der historische Hintergrund zu Karl dem Großen vermittelt, und das sehr gut. Der Einsatz von modernen Medien ist in dieser Ausstellung wirklich gelungen.

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Alkuins Briefe an Karl. Stiftsbibliothek St. Gallen. Foto: UK.

Was wäre der größte Herrscher ohne ein Heer von Mitarbeitern? Christine Keller, Kuratorin der Ausstellung, bezeichnete Karl als hervorragenden Netzwerker. Und tatsächlich war die Fähigkeit des ersten Kaisers des Abendlands, herausragende Persönlichkeiten aus der ganzen damals bekannten Welt an seinen Hof zu ziehen und in seinem Sinne einzusetzen, bemerkenswert. Symbolträchtig stellen die Ausstellungsmacher in einem mystischen Oktogon, das der Aachener Pfalzkapelle nachempfunden ist, acht der engsten Mitarbeiter Karls vor.

Eine Abschrift des 10. Jh. der Lebensbeschreibung von Karl dem Großen aus der Feder Einhards. Stiftsbibliothek Kloster Einsiedeln. Foto: UK.

Aus dem fernen England kam Ealwine, den wir heute eher unter dem Namen Alkuin kennen, und mit dessen Wirken man die Einführung der karolingischen Minuskel in Verbindung bringt. Ein anderer Berater war Einhard, Autor der ersten Lebensbeschreibung Karls, die bereits 830, also nur anderthalb Jahrzehnte nach dessen Tod entstand.
Bücher symbolisieren die Leistungen dieser Männer. Sie sind in einer reichen Auswahl zu sehen. Die unglaubliche Vielfalt verdeutlicht, in welch großem Maße sich karolingische Handschriften in den bedeutenden Bibliotheken von St. Gallen, Einsiedeln, Bern und Zürich erhalten haben.

Schatzfund von Ilanz. Rätisches Museum, Chur. Foto: UK.

Bildung und Münzen, hier wirkte Karl der Große besonders nachhaltig. Und in beiden Bereichen setzte er auf Vereinheitlichung. Damit jeder, der lesen konnte, begriff, was sein Kaiser von ihm wünschte, setzte Karl eine einheitliche, leicht verständliche Schrift durch, die als karolingische Minuskel bekannt ist.
Bei den Münzen brauchen wir nun wirklich nicht noch einmal zu wiederholen, dass das karolingische Münzsystem mit dem Zählpfund zu 20 Schillingen bzw. 240 Pfennigen noch bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg existierte. Karl folgte hier seinem Vater Pippin, der das Recht der Münzprägung wieder allein für den König reserviert hatte.

Denar mit dem Porträt Karls des Großen. Aus Auktion 205 (2012), 1405. Leihgeber: Herb Kreindler.

Im Gegensatz zu der Bronzestatue von Karl dem Großen ist die ausgestellte Münze mit dem Porträt des Kaisers echt, allerdings wurde auch sie nicht zu Lebzeiten Karls ausgegeben, sondern unter seinem Sohn Ludwig dem Frommen.

Der den Münzen gewidmete Ausstellungsteil. Foto: UK.

Leider nicht ausgestellt ist der Codex 731 der St. Gallener Stiftsbibliothek, aus dem das Vorbild für die Wanddekoration der Münzabteilung stammt. In dieser „Lex Romana Visigothorum“ aus der Feder des Klerikers Wandalgarius in Lyon ist ein Mann abgebildet, der einen Denar mit dem Monogramm Karls des Großen emporhebt, um ihn allen Lesern genau zu zeigen.

Blick in die Ausstellung, im Vordergrund ein Modell des 19. Jahrhunderts, wie man sich eine mittelalterliche Umsetzung des St. Galler Klosterplans vorstellte. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum.

Nach dem Allgemeinen geht es ins Besondere. Vom idealen Klosterplan von St. Gallen hin zu den realen karolingischen Klöstern in der Schweiz mit ihren Kunstschätzen.

Original und Rekonstruktion des farbigen Stucks, mit dem die Klosterkirche von Müstair geschmückt war. Foto: UK.

Architekturteile aus Müstair, Chur und Disentis illustrieren, wie prächtig einst die Reichsabteien ausgestattet waren.

Seidenstoff aus der Kathedrale von Chur, hergestellt in Byzanz oder Syrien, Ende 8. / Anfang 9. Jh. Domschatz Chur. Foto: UK.

Prächtige Stoffe, …

Taschenreliquiar aus dem Kloster St. Maurice. Stiftsschatz Abbaye de St. Maurice d’Agaune. Foto: UK.

… Reliquienschreine …

Liber Viventium. Stiftsarchiv St. Gallen. Foto: UK.

… und kostbar geschmückte liturgische Handschriften: Welche unglaubliche Pracht in den Reichsabteien zu finden war, können wir uns heute kaum mehr vorstellen.

Schenkung König Ludwigs an die Fraumünsterabtei. Foto: Staatsarchiv des Kantons Zürich.

Denn Karl und seine Nachfolger setzten diese Klöster systematisch ein, um auch in entfernten Gegenden durch seine Stellvertreter als Kaiser wahrgenommen zu werden. So kam Zürich zu seiner wichtigen Rolle im karolingischen Reich. Ludwig der Fromme überließ am 21. Juli 853 das Kloster Fraumünster seiner Tochter Hildegard, die als Äbtissin die Kontrolle über dessen reiche Besitzungen übernahm.

Pippin und Karl der Große mit dem Modell des Zürcher Großmünsters, um 1551. © Schweizerisches Nationalmuseum. Foto: Donat Stuppan.

Und Zürich dankt es Karl dem Großen mit einer besonderen Verehrung. Noch heute thront Karl über dem Großmünster, das sich – in ständiger Konkurrenz mit der Fraumünsterabtei – eine Legende zulegte, die seine Gründung Karl dem Großen zuschrieb.
Mehr darüber gibt es in der Abteilung „Nachleben“ zu erfahren, mit der diese unterhaltsame und lehrreiche Ausstellung abschließt.

Alle Informationen über die „Karl der Grosse und die Schweiz“ erhalten Sie hier.

Sollten Sie nicht zur Ausstellung fahren können, empfehlen wir Ihnen den prächtigen Bildband zu den karolingischen Schätzen in der Schweiz. Sie können ihn auch als eine Art „Reiseführer“ zu den verschiedenen Standorten benutzen.

Es gibt eine Reihe von Vorträgen, Führungen und Veranstaltungen, dazu auch einiges zum Thema Numismatik. Mehr darüber gibt es hier.

Ein eindrückliches Erlebnis ist eine multimediale Rekonstruktion der karolingischen Königspfalz auf dem Zürcher Lindenhof. Dafür klicken Sie hier.

Und hier können Sie sich die Zürcher Karlslegenden erzählen lassen.