Reisetagebuch einer Numismatikerin durch die Türkei (2009) – Teil 7

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5. April 2012 – Istanbul muss man niemandem vorstellen. Jeder kennt die wunderschöne Stadt am Bosporus. Für uns war dies die letzte Station auf unserem Weg durch die Türkei. Nach Gegenden, in denen es kaum touristische Infrastruktur gibt, war es geradezu ein Zivilisationsschock wieder alles zu haben, was ein Tourist nur wünschen kann.

Schöner Wohnen auf Türkisch: In diesen dicht bewohnten Vorstadtvierteln wurden die Gäste für die Busfahrt eingeladen. Foto: KW.

1. Juli 2009
Wir hatten für den nächsten Morgen beschlossen, mit dem Taxi zum Otogar zu fahren, das war wesentlich einfacher, als erst ein Taxi zu nehmen, dann in die U-Bahn umzusteigen, um endlich am Busbahnhof anzukommen. Vor Ort klappte alles prächtig. Der nette Junge vom Hotel hatte uns noch zwei Busgesellschaften genannt, die gerade besonders günstige Raten nach Istanbul hätten, der Busfahrer fuhr uns bis vors Terminal nach Istanbul und wir eilten zielgerichtet an den richtigen Schalter. Der nächste Bus würde in bereits einer Viertel Stunde gehen – nach Istanbul fahren sie ständig ab. Wir wunderten uns zunächst, warum der Bus so leer war, das Rätsel klärte sich, als wir noch eine zweite Station anfuhren, diesmal mitten in der Pampa, wo nur die Busse der Firma verkehrten. Nun füllte sich das Gefährt mit Menschen, brüllenden Kindern und Gepäck. Es war bis auf den letzten Platz voll – und dann fuhren wir los über die Autobahn und fuhren, und fuhren. Allmählich entdeckte ich, dass „non-stop“ nicht etwa bedeutete, dass die zahlreichen Zwischenstops entfielen, um Passagiere an Bord zu nehmen, sondern dass der übliche Ver- und Entsorgungsaufenthalt ausfiel. Dafür gab es vor Ort ein Örtchen, eine Bustoilette, ein seltener Luxus in der Türkei und einigermaßen sauber (der arme Busboy musste neben der Getränkeverteilung auch noch die Reinigung der Toilette nach jedem Besucher übernehmen).

Im Bus über den Bosporus. Und schon waren wir wieder in Europa. Foto: KW.

Wo wir genau in Istanbul aussteigen sollten, darüber stritt sich das Buspersonal. Zur Auswahl standen rund vier offizielle Haltestellen. An der dritten wurde uns vom Begleiter das Aussteigen befohlen. Wir angelten unser Gepäck, standen ein bisschen in der Landschaft, ehe uns ein lokaler Busangestellter wieder in den Bus zurückverfrachtete Wir sollten doch besser zur Endstation fahren! Keine Ahnung, ob die strategisch besser lag, aber die Ankunft war ein Ereignis. Der Otogar war noch größer als der in Ankara, allerdings konnte man nicht durch eine einfache Einfahrt einfahren, sondern musste erst die unterirdischen Gefilde des riesigen, mehrstöckigen Gebäudes durchqueren. Ich kam mir vor wie in der Unterwelt der französischen Oper: unheimliche, hohe Gewölbe, einzelne Menschen, die da fern vom Tageslicht ihrer Arbeit nachgingen, marode Busse und Schrott, alles war durch das Fenster zu sehen.

Das Hotel war eine Offenbarung! Wir waren wieder in der zivilisierten Welt! Eine prachtvolle Lobby, ein aufmerksamer, Deutsch sprechender Portier (leicht Berliner Akzent), wunderschönes Zimmer mit Blick auf das Meer. Nur die Dusche hatte den typisch türkischen Touch: Toller Duschkopf, mit Marmorboden, und die Duschwand unten 10 Zentimeter zu kurz, so dass man tun konnte, was man wollte: Nach dem Duschen war das Bad bis zum nächsten Besuch des Putzdienstes überschwemmt (die Duschwanne dagegen war nach einer halben Stunde trocken, hier lief das Wasser auch ab…).

Die blaue Moschee. Immer wieder schön. Foto: KW.

Natürlich gingen wir noch in die Stadt, zur Blauen Moschee. Das ist Kurts Lieblingsplatz. Gegenüber auf den Stufen sitzt er gerne und sieht auf die Kuppeln, die sich so prachtvoll übereinander wölben. Natürlich wurden wir angesprochen, während wir da saßen. Aber der Mann war nett, wirkte so, als hätte er kein Teppichgeschäft (hatte er doch, aber er war nicht aufdringlich), und so schwatzten wir ein bisschen über die Türkei, Istanbul, die Türken und das Leben so im Allgemeinen. Wir ließen uns nicht in den Teppichladen abschleppen, sondern gingen allein zum Tor des Moscheehofs hinaus, nicht ohne mehrstimmig in bestem Züri-Dütsch verabschiedet zu werden.

Ein kleines Abendessen nahe der Moschee – nicht besonders gut, dafür umso teurer – und die Touristenwelt hatte uns wieder. Istanbul ist einfach herrlich!

Blick von der Frühstücksterrasse des Hotels Armada. Foto: KW.

2. Juli 2009
Der nächste Morgen bot eine Überraschung. Die Frühstücksterrasse offerierte auf der einen Seite den Blick auf den Bosporus, auf der anderen zur Blauen Moschee und der Hagia Sophia. Einfach unglaublich! Dazu ein Frühstücksbüfett, wie wir es in den ganzen vier Wochen noch nicht gesehen hatten – nichts amerikanisch, nur türkisch: mehrere Sorten Schafskäse und Oliven, frische und getrocknete Früchte (sogar trockene Maulbeeren), Wabenhonig!!!, kleine gefüllte Teigtaschen, Halva und andere Süßigkeiten, mehrere Sorten Marmelade, Cai – nur den türkischen Kaffee mussten wir bestellen, bekamen ihn aber anstandslos.

Die Hagia Sophia. Foto: UK.

Unser erster Weg führte uns zur Hagia Sophia, wie Tausende von anderen Touristen. Es ist unglaublich, dass dieser wundervolle Bau trotz der unzähligen Besucher seine Würde bewahrt. Die kaiserlichen Mosaiken auf der Galerie sind eindrucksvoll – manchmal steht man sogar ein oder zwei Sekunden alleine vor einem der Kunstwerke. Wir waren fast zwei Stunden hier, um wirklich alle Einzelheiten anzusehen.

Konstantin IX., 1042-1055. Foto: KW.

Am beeindruckendsten sind natürlich die Mosaiken der byzantinischen Kaiser, vor allem weil einem ja ihre Gesichtszüge von den Münzen so unheimlich vertraut sind.

Konstantin IX. Histamenon. Rv. Kaiser mit Kreuzszepter und Kreuzglobus. Aus Auktion Gorny & Mosch 203 (2012), 621.

Da ist sie, der Kronreif mit dem kleinen Kreuz darüber und den Pendilia, die über die Schläfen herunterhängen. Das mit Vierecken geschmückte Gewand findet seine Erklärung. Statt Labarum und Kreuzglobus hält der Kaiser einen Geldbeutel, dessen Schnur selbstverständlich mit einem Bleisiegel versiegelt ist.

Christus Pantokrator, die Hand im Segensgestus, in der linken Buch. Foto: KW.

Und auch die Darstellung des thronenden Christus haben wir unzählige Male auf Münzen gesehen: Das bärtige, ruhige Antlitz, gerahmt von einem Heiligenschein mit Kreuz darin; die rechte Hand zum Segensgestus erhoben, in der linken das Evangelium.

Gedenkstein an Enrico Dandolo, Doge von Venedig. Foto: KW.

Und natürlich muss man auch noch an den Gedenkstein an den Dogen Enrico Dandolo erinnern, der treibenden Kraft hinter der Eroberung der Stadt Konstantinopel im Jahr 1204.

Die Kaaba – Darstellung in der Hagia Sophia. Foto: UK.

Kunsthistorisch hoch bedeutend sind diese Kacheln, auf denen wir eine Darstellung der Kaaba von Mekka finden, ein deutlicher Beweis dafür, dass das Bilderverbot nicht zu allen Zeiten mit der gleichen Ernsthaftigkeit verfolgt wurde.

Die geheimnisvolle Zisterne, leider völlig überlaufen. Foto: KW.

Von der Hagia Sophia wechselten wir zur Zisterne der Tausend Säulen, die inzwischen zu einer der gut vermarkteten Sehenswürdigkeiten der Stadt geworden ist. Mit Musik wird versucht, eine geheimnisvolle Atmosphäre zu erzeugen trotz der Scharen von Menschen, die sich über die Holzstege schiebt. Wir hatten auch noch das Pech, in ein türkisches Pfadfindertreffen zu geraten, lauter Jugendgruppen aus dem ganzen Land, die sich alle vor den verschiedenen Säulen fotografieren wollten. Irgendwann setzten wir uns völlig entnervt in das unterirdische Café, tranken das teuerste Wasser des ganzen Aufenthalts und entschlossen uns, ins archäologische Museum zu gehen.

Gigantomachie. Relief aus Aphrodisia. Foto: KW.

Das war überwältigend. Ich hatte vor 20 Jahren lediglich einen oder zwei Säle gesehen, der Rest war geschlossen gewesen, nun brauchten wir Stunden um Stunden um alles gut anzusehen – und es war (für türkische Verhältnisse) auch hervorragend ausgestellt.

Apollon Kitharoedos aus Milet / heute Türkei. Foto: KW.

So genannter Alexandersarkophag, ausgegraben in Sidon / heute Libanon. Foto: KW.

Marmorner Grabeingang, gefunden bei Thessaloniki / heute Griechenland. Foto: KW.

Grabstele eines Gladiators aus Tralleis. Foto: KW.

Vor allem der Saal mit den Grabinschriften aus der ganzen Türkei war großartig: überall türkische und englische Übersetzungen der Inschriften, historisch spannende Objekte, ich war wirklich begeistert. Münzen? So was sucht man in Istanbul vergebens, da muss wohl erst was in der Schweiz beschlagnahmt werden, dass es die Türken des Ausstellens für wert halten.

Blick auf Schlangensäule und Obelisk – letzte Zeugnisse des Hippodroms. Foto: KW.

Danach reichte es uns. Wir setzten uns friedlich auf eine Bank im Hippodrom und guckten einfach dem türkischen Alltagsleben zu.

Simitverkäufer. Foto: KW.

Das waren die Simitverkäufer …

Vor der Beschneidung. Foto: KW.

… und die kleinen Prinzen. Die noch fröhlich waren, ehe sie zur Beschneidung geführt wurden.

Wir hatten in den vergangen Wochen genug gesehen, um nicht ständig zur nächsten Attraktion laufen zu müssen.

Standbild des Turgut Reis, einem wichtigen Admiral der Osmanen, der mehrmals Italien überfiel. Heute steht sein Standbild vor dem Topkapi-Serail. Foto: KW.

3. Juli 2009
Der letzte Urlaubstag fing mit einem endlosen Spaziergang entlang der byzantinischen Seemauern an, der uns zum Topkapi-Palast führte. Von dort aus gingen wir in den großen Bazar. Eigentlich nur um zu gucken, und dann kauften wir schon in der ersten halben Stunde ein silbernes Armband: Ich hatte doch schon immer von diesen griechisch beeinflussten Imitationen geträumt mit zwei Widder- oder Löwenköpfen an den Enden. Bei einem Silberhändler sahen wir so ein Stück. Wir schauten es an, er wollte uns in seinen Laden ziehen, wir blieben draußen, er probierte mir das Stück an, wir zögerten, irgendwann fragten wir nach dem Preis, nun zögerte er, zeigte uns andere Armbänder, und forderte dann er 190 Lira – gut, das war für die Arbeit nicht viel, aber irgendwie waren wir zögerlich. Er fragte Kurt immer wieder, was er denn geben wolle. Und wir waren uns doch noch gar nicht sicher, ob wir das Ding überhaupt wollten! Ganz frech meinte Kurt dann 100 Lira. Statt weiter zu feilschen, sagte der Händler sofort „Ja“ und ließ uns völlig verstört zurück: In unseren Augen war das Armband ja wesentlich mehr wert, aber irgendwie kamen wir uns trotzdem übervorteilt vor.

Soll man das als politisches Statement verstehen? Foto: KW.

Wir kamen an einer anderen Ecke des Bazars raus. Es war Freitag und überall saßen Männer auf ihren Gebetsteppichen – auch in den überdeckten Gassen des Bazars. Draußen, vor der Moschee sah ich auf einmal überall Mannschaftswägen der Polizei stehen. Da waren mindesten 20 Busse geparkt, ein paar Uniformierte saßen mit ihren Hunden gemütlich im Schatten und mich packte die Panik. Ich dachte an palästinensische Steineschmeisser und aufgebrachte Islamisten und fand, dass wir nicht herausfinden mussten, warum so viele Mannschaftswägen der Polizei hier parkten. Vermutlich hätte ich festgestellt, dass die ganze Angelegenheit ziemlich friedlich war, aber na ja, uns brachte die kleine Flucht in das Straßengewirr von Konstantinopel, wo die Einheimischen einkaufen und sich kein Tourist verirrt (außer uns). Wir waren in einem „Schneiderviertel“, wo man Stoff und Knöpfe kaufen konnte, Uniformen und kleine Stoffwappen, und natürlich ganze Rollen von Lacoste-Krokodilen. Nach einer guten Stunde fanden wir dann das, was wir gesucht hatten, den ägyptischen Bazar.

Stand im ägyptischen Basar. Foto: KW.

Der ist eigentlich nur ein kleiner Bau unten am Ufer, wo früher ausschließlich Gewürze gehandelt wurden. Heute ist die Hälfte der Stände schon von Andenkengeschäften erobert, aber immer noch kann man alle Farben des Orients sehen. Die eigentlichen Gewürzstände, die nicht für die Touristen aufgemacht sind, die haben sich in seiner Umgebung angesiedelt, und dort kauften wir ein Kilo „Biber“, eine Art rotes, sehr scharfes Paprikapulver, wobei das Wort Biber im türkischen für Paprika und Pfeffer steht. Eigentlich lustig, aber auch passend, schließlich ist ja beides ein scharfes Gewürz.

Hierher verirrt sich kaum ein Tourist. Die theodosianische Landmauer. Foto: KW.

Der krönende Abschluss des Tages war eine Fahrt mit der Straßenbahn zur Theodosianischen Landmauer, der gut erhaltenen byzantinischen Stadtmauer. Es dauert gut 20 Minuten, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Ufer bis zur einstigen Grenze der Großstadt zu kommen – ein Beweis dafür, wie umfangreich Konstantinopel vor 1500 Jahren war. Und ein Zeichen, wie sehr sich die Stadt in den letzten 20 Jahren verändert hat. Als ich damals mit Steffi an der Mauer spazieren ging, da waren überall noch Ziegenhirten, die ihre Herden auf den Weiden innerhalb der Mauer hüteten. Heute geht die Bebauung bis direkt an die Mauer, jeder winzige Fleck Innenstadt ist bewohnt. Wir liefen zunächst außen herum, beobachteten ein paar türkische Familien, die eine Art Schrebergärten vor der Mauer bebauen dürfen, dann ging es an der Innenseite durch Viertel, in denen wohl nur selten Touristen zu sehen sind.

4. Juli 2009
Der Rückflug verlief dann im Großen und Ganzen unspektakulär. Wir fuhren mit dem Taxi zum Flughafen, waren rechtzeitig da und kauften im Dutyfree noch eine völlig überteuerte Flasche Raki. Ach ja, eine Überraschung gab es noch zum Schluss. Vor 20 Jahren, als ich damals mit Steffi durch die Türkei fuhr, hatte mich die Musik eines Mannes berührt. Sie fiel aus dem Rahmen, entsprach nicht dem üblichen Gedudel, mit dem wir in unendlichen Stunden Busfahrt gequält worden waren. Der Mann hieß Ahmed Kaya. Ich wollte damals unbedingt eine Kassette von ihm mit nach hause nehmen, ging in einen Laden, um sie zu kaufen und brachte den Verkäufer zum Erbleichen. Er schmiss mich raus. Ich bat einen türkischen Freund, mir eine zu kaufen. Er erlebte das Gleiche und erzählte mir, dass die Musik von Ahmed Kaya Untergrundmusik sei, der Mann sei Kurde, Marxist und in der Türkei eher Persona non Grata. Irgendwie schaffte er es dann doch, eine Kassette aufzutreiben, die ich hier in Deutschland oft und gerne gehört habe.

Nun waren wir auf dem Flugplatz, standen in einem CD Laden und schauten nach türkischer Musik. Und da fiel mir Ahmed Kaya ein. Wir sahen nach, und tatsächlich, da standen rund 10 verschiedene CDs. Erst daheim konnte ich im Internet die Brücke bauen zwischen damals und heute. Ahmed Kaya war Sohn eines Kurden und einer Türkin. Bevor er Berufsmusiker wurde, verdiente er sich sein Geld als Taxifahrer in Istanbul. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, stand er auf seinem künstlerischen Höhepunkt. Er muss später offiziell erlaubt worden sein, denn man wollte ihn am 10. Februar 1999 in einer türkischen Künstlergala ehren. Und da gab der Mann zu, Kurde zu sein und kündigte an, ein kurdisches Lied aufnehmen zu wollen. Damals buhte man ihn auf offener Bühne aus, man bedrohte ihn, er musste aus dem Saal flüchten. Doch das war noch nicht das Ende. Er wurde angeklagt. Ihm drohten bis zu 12 Jahren Gefängnis, und noch während des Prozesses initiierte die Presse eine Hetzkampagne gegen ihn. Dies, zusammen mit unzähligen Morddrohungen, wurde dem Sänger zu viel. Er floh nach Frankreich, wo er ein Jahr später an einem Herzinfarkt starb. Anscheinend ist er inzwischen rehabilitiert. Und doch lässt sein Schicksal einen bitteren Geschmack auf der Zunge.

Aber ein Land ohne Schattenseiten, wo gibt es das schon? Und die sollte man auch im Urlaub nicht ausklammern. Aber wir hatten auch wunderschöne Stunden in der Türkei. Wir werden sicher wiederkommen.

Ach ja, und wenn Sie Ahmed Kaya singen hören wollen, klicken Sie hier.

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