Die Motive der Euro-Umlaufmünzen: Spanien – 1, 2 und 5 Cent – Santiago de Compostela

Die Euro-Münzen sind für alle Teilnehmerstaaten ein wunderbares Mittel, das eigene Selbstverständnis nach außen zu tragen. Was bedeutet für Spanien die Wallfahrt zum heiligen Jakob? Und welche Rolle spielte die Jakobsstraße für europäische Christen im Mittelalters? Hier lesen Sie Hintergründe zum Motiv der spanischen 1, 2 und 5 Cent-Münzen.

Spanien hat auf drei Nominalen eine Kathedrale abgebildet, die Ende des 11. Jahrhunderts in Santiago de Compostela über dem Grabe des heiligen Apostels Jakob errichtet wurde. Wenn man die relativ gesichtslose Barockfassade auf den Münzen betrachtet, mag man kaum glauben, dass es einst für Millionen von Menschen ein Lebenstraum war, zu dieser Kirche zu pilgern, um dort den heiligen Jakob um Hilfe und Beistand anzuflehen.

Martyrium Jakobus des Älteren. Szene des Heller-Altars von Albrecht Dürer. Quelle: Wikicommons.

Wer aufmerksam die Apostelgeschichte gelesen hat, wird sich wundern, wie Jakobus der Ältere überhaupt nach Spanien kommen konnte. Er erlitt nämlich im Jahre 44 n. Chr. als Erster der 12 Apostel in Jerusalem den Märtyrertod. Über seinem Grab wurde rund 450 Jahre später eine Kirche gebaut, deren Nachfolgerin man heute noch im armenischen Viertel in Jerusalem besichtigen kann. Wie also kam der Leib des Heiligen nach Santiago de Compostela? Darüber können wir in der Legenda Aurea, einem Bestseller des Mittelalters, Folgendes lesen:

„Nun aber erzählt Johannes Beleth, der diese Überführung mit Fleiß beschrieben hat, dass nach Jacobi Enthauptung seine Jünger den Leichnam aus Furcht vor den Juden heimlich bei Nacht wegnahmen, und taten ihn auf ein Schiff und empfahlen die Bestattung ganz und gar Gottes Weisheit; und stiegen dazu und steuerten nicht, sondern der Engel des Herrn geleitete sie gen Galizien, daselbst landeten sie in dem Reich der Lupa; … Sie trugen den Leichnam aus dem Schiff und legten ihn auf einen großen Stein. Aber siehe, der Stein gab dem Leichnam nach wie Wachs und formte sich gar wunderbarlich zu einem Sarg.“

Die Jünger gehen nun zur Königin Lupa und wollen ein Grab für den Jakobus haben, aber die Dame ist eine verstockte Heidin und darüber hinaus eine böse Zauberin. Sie schickt die Jünger zu ihren verhexten Rindern, wilden Stieren, die noch jeden zerrissen haben, der sich ihnen näherte. Sie sollen sie anschirren, um auf einem Wagen den hl. Jakobus in sein Grab zu bringen. Doch als die Stiere den Jakobus sehen, werden sie brav, lassen sich unters Joch spannen, als wären sie Ochsen, und sie ziehen den Leichnam zu dem von der Königin bestimmten Ort. Doch auch der ist eine Falle: Dort wohnt ein wütender Drache, der aber beim Anblick des hl. Jakob sofort zerplatzt. Darauf ist die Königin Lupa so erschrocken, dass sie sich sofort zum Christentum bekehrt und ihren Palast dem hl. Jakob als Kirche zur Verfügung stellt. Dort – so die Legenda Aurea – soll der Heilige seine letzte Ruhestätte gefunden haben.

Die wurde aber, wollen wir der frommen Überlieferung folgen, vergessen und musste im 9. Jahrhundert von einem frommen Einsiedler wieder gefunden werden. Er sah über einem verlassenen römischen Grabfeld leuchtende Sterne, daher auch der Name Compostela – Campus stellae (= Feld des Sterns).

Statue Alfons III. (um 848-910) auf der Plaza del Oriente in Madrid. Quelle: Luis García (Zaqarbal) / Wikicommons.

Wir wollen hier nicht über Glaubensinhalte streiten, Tatsache aber bleibt, dass die erste sichere Erwähnung des Jakobusgrabes erst in das Jahr 885 fällt. Und damit sind wir in einer Zeit angelangt, in der es für den Herrscher von Nordspanien, Alfons III., opportun war, das Grab eines so hochrangigen Heiligen auf seinem Gebiet zu besitzen. Wir befinden uns in einer frühen Phase der sogenannten Reconquista, der Wiedereroberung des an islamische Herrscher verlorenen Spanien. Alfons III. hatte bereits erste Erfolge erzielt, doch um sein Königreich noch effektiver auszubauen, förderte er eine Eigenkirche, wie sie zu dieser Zeit auch das Frankenreich besaß. Unter einer Eigenkirche versteht man ein Konstrukt, in der das staatliche Oberhaupt gleichzeitig Kopf der kirchlichen Organisation ist und alle hohen kirchlichen Beamten von ihm eingesetzt werden. Natürlich hatte der Papst, der schon damals versuchte, seine Oberherrschaft durchzusetzen, etwas dagegen. So war es für Alfons III. sehr nützlich, argumentieren zu können, dass seine Kirche genauso von einem Apostel beschützt wurde, wie die in Rom. Der Papst berief sich auf Petrus und Paulus, Alfons auf Jakobus.
Mit dieser politischen Konstellation war der Grundstein für den Jakobskult gelegt. Doch es brauchte noch mehr, um aus der lokalen Überlieferung eines am Ende der Welt gelegenen, kleinen Königreiches einen Heiligen für die gesamte christliche Welt zu machen.

Mantel und Stab eines Frommen, der nach Santiago de Compostela gepilgert ist (1571). Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Foto: Wolfgang Sauber / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Drei Faktoren vor allem machten Santiago für ein paar Jahrhunderte zum Ziel aller frommen Christen. Der Erste und Wichtigste davon hieß Cluny. Dieses Kloster in Burgund wurde zum Zentrum einer völlig neuen Form von Glauben. War bis zur Jahrtausendwende das Christentum noch stark geprägt von heidnischen Praktiken, wurde dank der von Cluny ausgehenden Propaganda die Suche nach Gott während des 11. und 12. Jahrhunderts eine Massenbewegung, der sich alle anschlossen, Bürger und Bauer, Adliger und Bettelmann; sie alle betrachteten die Unwägbarkeiten ihres irdischen Lebens und entschieden, dass es wesentlich besser sei, ewiges Verdienst in den Augen Gottes zu erwerben, als die irdischen Vorratstruhen gefüllt zu halten. Ein reines und frommes Leben wurde in diesen Jahrhunderten genauso zu einem Ideal, wie es bei uns heute chic ist, schlank zu sein, braun gebrannt und dabei mindestens 60 Stunden in der Woche zu arbeiten, um sich allerlei Dinge leisten zu können, die doch niemand zum Überleben braucht.

Etwa gleichzeitig waren durch politische Veränderungen die Wege wieder sicherer geworden. Die Europäer entdeckten das Reisen neu. Fernhändler benutzten die römischen Straßen, und Pilger machten sich auf, um an den heiligen Stätten für ihr Seelenheil zu beten.

Was für Ziele standen ihnen zur Verfügung? Da war zunächst natürlich Rom. Dann gab es Jerusalem, die heilige Stadt; und hier sind wir beim dritten Faktor, der aus Santiago de Compostela die beliebteste Wallfahrt schlechthin machte. Der große Konkurrent um diesen Titel, Jerusalem, wurde nämlich im Jahre 1070 von Alp Arslan, einem Reiterführer der Seldschuken, erobert. Damit war die Wallfahrt nach Jerusalem gefährlich und unsicher geworden, das sichere Santiago wurde zum beliebtesten Ziel der pilgernden Christenheit.

Karte der Jakobswege in Westeuropa. Quelle: Manfred Zentgraf / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en

Jährlich pilgerten zwischen 200 und 500.000 Menschen zum heiligen Jakob. Für viele mag es ein Anreiz gewesen sein, dass die Amtskirche ihnen versprach, ein Drittel aller ihrer Sünden werde ihnen dafür bei echter Reue automatisch vergeben. Sollte der bußfertige Pilger den Heiligen gar in einem Jahr besuchen, in dem dessen Namenstag auf einen Sonntag fiel, so würden ihm alle Sünden vergeben, und er könnte rein ins Paradies eingehen. Doch nicht alle, die an das Ende der damals bekannten Welt zogen, taten dies aus frommen Gründen. Es gab viele, die die Abenteuerlust trieb, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen, andere waren eines Vergehens wegen verurteilt worden, zum heiligen Jakob zu ziehen. Uns ist ein Urteilsspruch überliefert: Der Angeklagte wurde zur Wallfahrt verurteilt, weil er seinen Gegner mit den Worten „Missgeburt, Bastard, Hexer, Dieb, Mörder und Brandstifter“ beleidigt hatte.

Was kostete nun so eine Wallfahrt und wie lang dauerte sie? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Wir wissen, dass Anfang des 14. Jahrhunderts in Lübeck testamentarisch zwischen 10 und 40 Mark denjenigen hinterlassen wurden, die stellvertretend für den Verstorbenen zum Grab des hl. Jakob pilgern sollten. Mit den 10 Mark sollte nicht nur ein, sondern gleich zwei Pilger finanziert werden. 10 Mark, dafür konnte man um 1220 zwei Ochsen oder zwanzig Schafe kaufen. Um 1300 werden die Preise noch höher gewesen sein. Eine Wallfahrt konnte man also unter Umständen sehr billig gestalten, vor allem deshalb, weil viele reiche und mächtige Stifter wohltätige Institutionen entlang des Jakobsweges eingerichtet hatten, wo der Pilger umsonst nächtigen und essen konnte.

Die Dauer der Wallfahrt hing natürlich davon ab, woher der Pilger kam, ob er ritt oder zu Fuß ging, ob er jung und ausdauernd oder alt und schwach war. Aus ganz Europa strömten die Gläubigen. Sie nutzten jeden Weg und Steg, doch mit der Zeit kristallisierten sich vier durch Frankreich führende Pilgerstraßen heraus, die die wichtigsten christlichen Heiligtümer berührten. In Puenta La Reina, einer Brücke, die zu Beginn des 11. Jahrhunderts auf Initiative der Gemahlin König Sanchos III. gebaut worden war, kamen alle diese Wege zusammen. Brücken waren eine große Hilfe für die Pilger, denn – wie uns der mittelalterliche Pilgerführer mitteilt: „…Wenn Du ein Boot besteigst, dann sei auf der Hut: Schnell bist Du ins Wasser gefallen. … Vielfach lassen die Fährleute, nachdem sie den Fährlohn kassiert haben, eine so große Schar von Pilgern einsteigen, dass das Schiff kentert und die Pilger im Fluss ertrinken. Die nichtsnutzigen Schiffer stimmen dann gleich ein Freudengeheul an und bemächtigen sich der Habe der Ertrunkenen.“
Von Puenta la Reina aus zählt der Pilgerführer noch 16 Etappen auf, die aber sicher nicht in 16 Tagen zu bewältigen waren, vor allem, wenn der Wanderer noch all die Wunder und Sehenswürdigkeiten auf der Strecke betrachten wollte.

War ein Pilger endlich am ersehnten Ziel angekommen, dann warf er den Kalksteinbrocken, den er am westlichen Fuß des Kantabrischen Gebirges aufgelesen hatte, in die Kalköfen, wo der für den Bau und Erhalt der Jakobusbasilika nötige Kalk gebrannt wurde. Als Nächstes nahm er unmittelbar vor der Stadt ein reinigendes Bad in einem am Fluss gelegenen Wäldchen, das den bezeichnenden Namen trug „Lavamentula“ (wörtlich: wasche die Geschlechtsteile). Der Pilgerführer warnte hier eindringlich, dass häufig während der Waschungen die Kleidung gestohlen würde. Vom Fluss aus bestieg man den „Berg der Freude“. Wer von seiner Pilgergruppe als Erster die Jakobusbasilika sah, wurde zum Pilgerkönig. Noch heute gehen viele Familiennamen wie König, Leroy oder King auf diese Pilgerkönige zurück. Dann zog man in die Stadt, kaufte sich eine kleine Muschel als Beweis, dass man das Grab des hl. Jakob erreicht hatte, und betrat die Kirche.

Kathedrale von Santiago de Compostela. Foto: KW.

Betrachten wir sie nur einen Moment lang mit den Augen des mittelalterlichen Besuchers: „Wunderbares wurde hier ins Werk gesetzt: Die Kirche ist groß, geräumig, hell. Die Proportionen stimmen: Breite, Länge und Höhe passen zueinander. Der Bau ist ein unsagbar schönes Werk; mit seinem Obergeschoss erinnert er an eine königliche Pfalz. Sollte jemand traurigen Sinnes zur Empore aufsteigen, so wird er – wenn er oben durch die Schiffe schreitet – fröhlich, freudig erregt beim Anblick dieses ungemein schönen Gotteshauses. … Kranken wird hier die Gesundheit, Blinden das Augenlicht geschenkt, Stummen die Zunge gelöst, den Tauben das Gehör verliehen, Lahme können wieder unbeschwert gehen, Besessene sehen sich vom Dämon befreit und, was das Größte ist: Die Bitten der Gläubigen werden erhört, ihre Gelübde werden vom Himmel angenommen, die Fesseln der Sünde werden gelöst, den Klopfenden tut sich der Himmel auf, den Trauernden wird Trost zuteil. Hier strömen in großen Scharen Angehörige fremder Völker aus allen Himmelsrichtungen zusammen, hier wollen sie mit ihren Gaben Gott preisen.“

Jakobus der Ältere – der „Maurenschlächter“. Foto: KW.

Eigentlich sollten wir hier mit diesen elegischen Lobpreisungen aufhören, denn das ist es, an was Spanien mit seiner Münzprägung erinnern wollte. Doch wir müssen einfach noch erwähnen, dass Sankt Jakob auch seine dunklen Seiten hatte. Jakobus ist in Spanien bekannt als der Matamoros, der Maurenschlächter. Wie war es dazu gekommen?

Im Jahre 1089 versprach Papst Urban II. allen christlichen Kämpfern, die bereit waren, nach Spanien zu ziehen, um die Mauren zu vertreiben, im Falle eines Todes einen Generalablass. Damit war vor dem eigentlichen 1. Kreuzzug nach Jerusalem 1095 bereits ein innereuropäischer Kreuzzug in Gang gesetzt. Die dadurch entstehende Stimmung und die Überzeugung, dass der Kampf gegen die Mauren von Gott gewollt sei und von den Heiligen unterstützt werde, nutzte der Bischof von Santiago, Gelmirez, um in seiner ständigen Geldnot an zusätzliche Mittel zu kommen. Er konstruierte ein Diplom, in dem er eine uralte Steuer zu Ehren von Jakobus (er)fand. Als Begründung für diesen Jakobspfennig erzählte das Diplom, dass einst der Heilige auf einem weißen Pferd zu Gunsten der Spanier in die Schlacht von Clavijo eingegriffen habe. Diese Schlacht hat nie stattgefunden, doch das Diplom brachte dem friedlichen Apostel den Beinamen des Maurentöters, der für Hunderttausende von Indios in Südamerika blutige Realität wurde, als die Konquistadores mit dem Schlachtruf „Santiago“ ganze Völker abschlachteten.

Auf dem modernen Jakobsweg. Foto: KW.

Doch daran sollen die Prägungen mit dem Bild der Jakobusbasilika sicher nicht erinnern. Sie sollen den Geist des Hochmittelalters heraufbeschwören, als Vertreter aller europäischen Völker friedlich nach Spanien zogen, um dort das Heil zu suchen. Als sich die romanische Kunst über den Jakobsweg in ganz Europa verbreitete und prachtvolle Kirchen im neuen Stil entlang der Wallfahrtswege entstanden. Es ist bezeichnend, dass man so ein Motiv wieder auf Münzen setzen kann, noch vor 30 Jahren wäre es wohl nicht verstanden worden. Doch die Generation der 68er, die alles Althergebrachte in Frage stellte, ist in die Jahre gekommen, und die Esoterik hat die Jakobsstraße neu entdeckt als Sternenweg, der auf uralten Strömen der Kraft Selbstfindung verheißt. Ihre Anhänger mischen sich mit denjenigen, die im meditierenden Gehen den Sinn ihres Seins neu entdecken wollen. Heute pilgern wieder große Scharen von Menschen nach Santiago, nicht nur aus Europa, sondern aus der ganzen Welt.

Ausführliche Informationen und Pilgerberichte vom Jakobsweg finden Sie hier.

Auf der Seite www.fernwege.de finden Sie genauere Informationen zu Strecken, Abschnitten und Etappen des Jakobsweges.

Oder schauen Sie sich die Dokumentation „Der Weg der Pilgerin Unterwegs nach Santiago de Compostela“ vom 05.01.2014 in der ZDF Mediathek an.

Und wenn Sie es lieber cineastisch mögen, bietet diese französische schwarze Komödie über Geschwister auf dem Jakobsweg gute Unterhaltung.