Das Puteal Scribonis

PVTEAL steht über dem Gegenstand, den wir auf der Rückseite der Münzen des Lucius Scribonius Libo erkennen können. Und genauso schreiben viele Münzhandlungen in ihren Katalogenl, wenn sie das beschreiben sollen, was im Jahre 62 v. Chr. der Münzbeamte auf die Rückseite seiner Münzen setzte. Doch, was mag ein Puteal sein? Und warum stellte es dieser Angehörige der Familie der Scribonii auf der Rückseite „seiner“ Münzen dar?

Denar des L. Scribonius Libo. Aus der Sammlung Wyprächtiger. MoneyMuseum, Zürich.
RÖMISCHE REPUBLIK. Lucius Scribonius Libo. Denar, 62. BON. EVENT – LIBO Kopf des Bonus Eventus mit breiter Haarbinde n. r. Rv. PVTEAL / SCRIBON Das Puteal Scribonis, verziert mit Kitharen und Girlanden; unten Hammer. Cr. 416/1. Syd. 928.

Auf den ersten Blick sieht dieses Puteal wie ein ganz gewöhnlicher Altar aus. Viereckig, mit einem kleinen Treppenaufgang und von Girlanden bekränzt. Doch ein Puteal ist kein Altar; hier täuscht uns die mangelnde Kunstfertigkeit der republikanischen Stempelschneider, die einen runden Gegenstand genauso im Münzbild darstellten wie einen viereckigen. Im römischen Sprachgebrauch stand der Begriff Puteal nämlich zunächst für den gemauerten Brunnenschacht mit einem Deckel darüber, damit niemand in das gefährliche Loch stürzen konnte. Diese Bedeutung wurde bald ausgedehnt. Auch die Einfassung und Abdeckung von „Blitzgräbern“ nannte man Puteal.

Blitzgrab aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. mit Darstellungen der 12 Götter. Nationalmuseum Neapel. Foto: UK.

Und hier taucht schon die nächste Frage auf: Warum begruben die Römer ihre Blitze und wie sah wohl so ein Blitzgrab aus? Nun, um die erste Frage zu beantworten, muß man sich erinnern, daß im alten Rom der Blitz als von Iuppiter gesandt galt und damit als heilig. Augustus wird sich Jahre später damit brüsten, daß in seiner unmittelbaren Nähe ein Blitz einschlug, ohne ihn zu verletzen. Er wird das als Gott gesandtes, zustimmendes Zeichen werten und ein Heiligtum bauen für Iuppiter Tonans, den donnernden Iuppiter. Nicht nur Augustus glaubte, daß der Boden, der vom Blitz getroffen war, heilig und dem menschlichen Gebrauch entzogen war. Jeder Römer wußte, daß ein Gebiet, das Iuppiter durch den Blitz für sich gefordert hatte, nicht mehr betreten werden durfte, um den Gott nicht zu reizen. Doch wie sollte man so eine Stelle schützen? Und hier sind wir beim zweiten Teil der Frage: Man half sich, indem man einen ähnlichen Bau errichtete, wie er auch Brunnenschächte bedeckte, und man übertrug den Namen dafür auf das Blitzgrab. Das Puteal Scribonis erhielt zudem noch den Namen des Erbauers, eines Angehörigen derselben Familie wie der Münzherr, der Scribonii.

Denar des L. Scribonius Libo. Aus der Sammlung Wyprächtiger. MoneyMuseum, Zürich.

Damit wäre nun auch schon die Sache klar, wenn nicht dieses abgebildete Puteal durch mehrere merkwürdige Details aus dem Rahmen fallen würde. Da sind zunächst einmal die Gegenstände, die auf den Stufen des „Brunnens“ liegen, Hammer, Zange, Pileus und Amboß. Daß der Stempelschneider damit nicht irgendwelche beliebigen Symbole gewählt hat, um Emissionen abzugrenzen, sondern daß hier Realität wiedergegeben wurde, wissen wir von einer zeitgenössischen Replik des Puteal Scribonis, die man in Veji gefunden hat und die heute in Rom zu sehen ist.

Denar des L. Scribonius Libo. Aus der Sammlung Wyprächtiger. MoneyMuseum, Zürich.

Auf der vierten Seite des Puteal sehen wir einen Pileus, der mit Lorbeer umkränzt ist. Diese Kopfbedeckung ist ikonographisch der Hinweis auf den Gott Vulcanus. Im römischen Glauben bildete er das Gegenstück zu Vesta. War Vesta das wärmende Herdfeuer, gezähmt und für den Hausgebrauch bestimmt, so verkörperte Vulcanus die wilde und verzehrende Flamme, die Häuser vernichtet, aus Vulkanen hervorbricht und eben auch nötig ist, um Eisen und Bronze zu schmieden. Deshalb war Vulcanus schon bald mit dem griechischen Gott Hephaistion zusammengeworfen worden, von dem die Sage erzählt, unter seiner Aufsicht hätten die Zyklopen für Zeus, den Vater der Götter, die Blitze gefertigt. Dieser Mythos wurde auf Vulcanus übertragen, so daß es nun niemanden mehr verwundern wird, wenn seine Attribute auf einem Blitzgrab zu finden sind.

Denar des L. Scribonius Libo. Aus der Sammlung Wyprächtiger. MoneyMuseum, Zürich.

Doch nicht nur Werkzeuge sind deutlich auf der Münze zu erkennen. Wir sehen außerdem Kitharen und Girlanden, ikonographische Details, die nun wahrhaft nichts mehr mit dem eher unmusischen Vulcanus zu tun haben können. Sie sind vielmehr ein deutlicher Hinweis auf den Gott Apollon. Doch was hat nun Apollon mit Blitzen zu tun? Die Mythologie hilft uns hier nicht weiter. Aber von anderer Seite bekommen wir unerwartet einen Hinweis. Festus, ein Lexikograph aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., überliefert uns, daß ein Scribonius vom Senat den Auftrag erhalten hatte, die in der Stadt vom Blitz getroffenen Heiligtümer aufzuspüren. Damit wird die Sache um einiges klarer: Vermutlich stieß dieser Scribonius während seiner Nachforschungen auf ein kleines Heiligtum des Apollon, das ein Blitz getroffen hatte. Und der Beamte errichtete auf diesem doppelt geheiligten Boden ein Doppelheiligtum für Vulcanus und Apollon in Form eines Puteal.

Doch warum ließ im Jahre 62 v. Chr. ein Nachfahre dieses Beamten das – vermutlich nicht allzu große und bedeutende – Bauwerk auf seinen Münzen abbilden? Hatte die Familie der Scribonii in der Vergangenheit so wenig große Taten vollbracht und so wenig für das Volk getan, daß dieses kleine Heiligtum alles war, womit der Münzmeister werben konnte? Natürlich nicht. Vermutlich wollte Lucius Scribonius Libo gar nicht in erster Linie auf das Puteal hinweisen, sondern darauf, wofür das Puteal in Rom stand. Bei Horaz finden wir nämlich in einer seiner Satiren einen merkwürdigen Ausdruck dafür, daß man sich bei Gericht einzufinden hatte. Er spricht davon, sich beim Puteal Scribonis zu sehen. Anscheinend war dieses Blitzgrab synonym geworden für die Prozesse, die in seiner Nähe stattfanden. Libo wollte also mit seinem Bild in erster Linie auf die juristische Tradition seiner Familie hinweisen.

Dafür spricht auch die Vorderseitendarstellung. Republikanische Münzen zeigen ja fast immer Motive, bei denen die Vorderseite und die Rückseite in engem Zusammenhang stehen. Wenn nun Libo das Puteal als Bau hätte darstellen wollen, dann hätte seine Vorderseite wohl in zwei parallelen Emissionen zum einen Apollon, zum anderen Vulcanus gezeigt. Er hätte also auf der Vorderseite die beiden Götter abgebildet, denen der Bau geweiht war. Stattdessen finden wir Bonus Eventus auf der Vorderseite, einen Gott, der noch aus der frühesten Vorzeit des römischen Glaubens stammt. Bonus Eventus bewachte und beschützte das Aufgehen und Gedeihen der Saat. Doch im gleichen Maße, in dem aus den Bauern in Rom Stadtbürger wurden, veränderte er seine Bedeutung. Bonus Eventus wurde zu einem Gott des glücklichen Ausganges und Erfolges überhaupt. Und das war nun ein Gott, den man vor Gericht wahrlich brauchen konnte, wo der Erfolg nicht nur von Recht und Unrecht abhing, sondern von der Kunst des Anwalts, der Gunst der Schöffen und der politischen Lage.

So will also die Münze des Lucius Scribonius Libo auf die vielen gut ausgegangenen Prozesse hinweisen, die seine Familie bei dem Puteal geführt hat, das ein Mitglied der eigenen Familie zum Lob der Götter und für das Wohl des Staates erbaute. Und ganz nebenbei zeigt sie uns eines der interessantesten Baudenkmäler im republikanischen Rom von allen seinen vier Seiten.