Repatriieren oder nicht repatriieren: Das ist hier die Frage

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erstveröffentlicht bei Cultural Property News
übersetzt von Almuth Klingner

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 18. April 2018 auf der Website von Cultural Property News.
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24. Mai 2018 – Die Klageworte von Shakespeares dänischem Prinzen Hamlet, umgemünzt auf Kulturgut – „repatriieren oder nicht repatriieren“ –, das ist die Frage, die die Türkei kürzlich an ein dänisches Museum stellte. „Nein danke, wir haben entschieden, nicht zu repatriieren“, lautete die Antwort von der Sammlung David. Die Türkei hatte Objekte der islamischen Periode zurückgefordert, die in Zeiten des Osmanischen Reichs angeblich „gestohlen“ worden waren (d. h. ohne Erlaubnis erlangt, die die Türkei heute anerkennt). In einem politischen Klima, in dem die Sichtweise der Dritten Welt mehr und mehr Anklang findet (obgleich die Türkei da kaum hinzuzuzählen ist) und viele Kulturgüter in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden, setzt sich Dänemark für den internationalen Status des Kulturerbes ein.

In einem Interview mit dem Dänischen Radio sagte der Leiter der Sammlung David, Kjeld von Folsach: „Wir haben unzählige Objekte aus der ganzen Welt – so wie alle westlichen Museen – und wenn wir erstmal anfangen, Dinge zurückzuschicken, finden wir uns irgendwann in der Situation wieder, dass sämtliche französische Kunst nur noch in Frankreich angeschaut werden kann, deutsche Kunst nur noch in Deutschland usw.“ Zudem betonte er, dass sämtliche Objekte „in gutem Glauben“ erlangt worden waren und dass es „quasi unmöglich [sei], die Dinge rückgängig zu machen“.
Was nicht heißen soll, dass Objekte, die tatsächlich aus Einrichtungen oder von anderen Besitzern gestohlen wurden oder die wesentlich für die Religionsausübung einer Kultur oder ein integraler Bestandteil ihrer Geschichte sind, nicht zurückgeführt werden sollen. Was Kjeld von Folsach betonen wollte: Kulturerbe ist auch Welterbe.

Unbekannt. Ägyptisch oder syrisch. Ein Mamluk trainiert mit einer Lanze. Miniatur aus einem Furusiyya-Manuskript, ca. 1500. Aus der Sammlung David.

Die Sammlung David ist weltberühmt für ihre erlesenen Beispielstücke islamischer Kunst. Die Sammlung reicht vom 7. bis zum 19. Jahrhundert und umfasst Werke aus einem Großteil der klassischen islamischen Welt. Auf der Website der Sammlung David heißt es: „Die islamischen Kunstwerke werden aus drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet: chronologisch und geografisch geordnete islamische Kunst, nach Material sortierte islamische Kunst sowie islamische Kunst in ihrem kulturellen Kontext.“

Ein Argument für „nicht repatriieren“ ist, dass die in Dänemark lebenden Türken (fast 30 000) und Muslime (die zweitgrößte Religionsgruppe in Dänemark) Zugang zu ihrem Kulturerbe erhalten sollen, ohne in die Türkei reisen zu müssen. Der Erhalt von islamischen Kunstwerken und Artefakten in dänischen Museen sowie die Darstellung türkischer und islamischer Geschichte könnte diesen Menschen demnach mehr dabei helfen, mit ihrem kulturellen und religiösen Erbe in Verbindung zu bleiben, als die Rückführung dieser Objekte in ihr Herkunftsland.

Die Türkei sieht das anders. Ihre Forderungen stützen sich auf ein Gesetz von 1906, noch aus der Ära des Osmanischen Reichs, welches den Export von Antiquitäten verbietet, die auf öffentlichem Grund gefunden wurden. Obwohl die Türkei die UNESCO-Konvention von 1970 unterzeichnet hat, erkennt sie nicht an, dass Exporte, die vor diesem Zeitpunkt oder vor einer neueren nationalen Eigentumsgesetzgebung erfolgten, davon ausgenommen sind. In seinem Artikel zur Repatriierung türkischer Kulturgüter für das Journal of Law, Technology & the Internet, Ausgabe Nr. 5 2014 schreibt Kelvin D. Collado: „Die Türkei ist ein Land mit einem reichen Kulturerbe und strebt mehr und mehr danach, sich als kulturelles Kraftzentrum zu etablieren … Die Türkei wird als Teil einer nationalistischen Kultur-Avantgarde gesehen; ihre jüngsten Aktionen sind Symptom der neubegonnen Suche nach einer nationalen Identität.“

Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat das Land verstärkt für die Rückführung seiner Kulturgüter gekämpft – für manche ein „Kreuzzug“, für andere ein „Kulturkrieg“ und noch andere „gute PR im Heimatland“. Gemäß einem Artikel der Sputniknews gibt es mindestens 150 000 Objekte, die die Türkei von westlichen Museen zurückfordern will.

Die zunehmend aggressiven Taktiken der Türkei, Objekte zurückzufordern, von denen sie der Meinung ist, dass sie auf türkischen Boden gehören – trotz fehlender Beweise, die diese Forderungen unterstützen – umfassen mittlerweile Repatriierungsforderungen unabhängig davon, wann die Objekte das Land verlassen haben. Collado schreibt, dass die unangemessenen türkischen Forderungen dazu geführt haben, dass Museen „sich hüten, den Behauptungen der Türkei Glauben zu schenken und die umstrittenen Güter zurückzugeben“.

Archäologen aus Ländern, die den Forderungen nicht nachgekommen sind, wurde der Zugang zu türkischen Ausgrabungsstätten verwehrt. Zudem hat die Türkei den zeitweisen Export von Objekten für Ausstellungen in Museen gestoppt, die angeblich türkische Kunstwerke zurückhalten.
Merve Stolzmann beleuchtet in einem aufschlussreichen Artikel für das Center for Art Law auf diplomatische Art und Weise die widersprüchliche Haltung, die die Türkei gegenüber ihrem Kulturerbe an den Tag gelegt hat. Einerseits verfolgt das Land die Wiedererlangung seiner Kulturgüter bis hin zur Erpressung anderer Länder durch Zutrittsverbote zu archäologischen Stätten, sollten sie Objekte aus ihren Museumssammlungen nicht zurückgeben. Andererseits wurden Stätten, die wesentliche Bestandteile des Kulturerbes sind, vernachlässigt oder gar zerstört. Als Beispiele nennt Frau Stolzmann die Vernachlässigung des Artemis-Tempels und des Topkapi-Palasts. 

Wegen staatlicher Dammprojekte stehen mehrere kulturelle Stätten inzwischen unter Wasser. So wurde beispielsweise durch den Bau des Birecik-Damms am Euphrat im Jahre 2000 die antike römische Stadt Zeugma teilweise geflutet – eine Bedrohung für die aufwendigen Mosaiken, mit denen wohlhabende Römer ihre Häuser schmückten. Während das Wasser bereits anstieg, konnten die Mosaiken dank nationaler und internationaler Bemühungen noch gerettet werden; viele sind nun im Zeugma-Mosaik-Museum in Gaziantep zu bestaunen. Doch Matthew Brunwasser stellt in seinem Artikel „Zeugma nach der Flut“ in der Zeitschrift Archeology klar: „Es war nicht gute Politik, die das antike Zeugma gerettet hat. Es war eine gute Story“ sowie großzügige Unterstützung einer internationalen Gemeinschaft mit dem Willen, einen Teil des türkischen Kulturerbes zu bewahren.

Fragen wirft auch die Sichtweise der Türkei auf Rückführungsgesuche für Objekte auf, die in türkischen Museen ausgestellt sind und aus dem heutigen Syrien, Ägypten, Griechenland, Libanon, Slowenien, Kroatien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina stammen. Die Türkei beruft sich wiederum auf das Gesetz von 1906 und sieht sich demnach als rechtmäßiger Eigentümer dieser Artefakte, mit der Begründung, dass die Herkunftsorte zum Zeitpunkt des Funds zum Osmanischen Reich gehörten. So mancher aus der internationalen Kunstwelt findet diese Sichtweise widersprüchlich. 

Weitere Artikel rund um den Kulturgüterschutz finden Sie im entsprechenden Teil unseres Archivs.