Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Eine kurze Geschichte des Belagerungswesens: Teil 1

In memoriam Georg Baums

Als am 6. April 1453 Konstantinopel unter dem Donner von Geschützen erzitterte, hatte damit zwar keine neue Epoche des Kriegswesens begonnen, doch die Kanonenkugeln ließen nicht nur die als uneinnehmbar geltenden Stadtmauern zusammenbrechen, sondern auch das mittelalterliche Verständnis von Festungen. 

Sigismundo Malatesta. Bronzemedaille 1446. Auf der Rückseite die Ansicht des befestigten Rimini. Aus Auktion Künker 282 (2016), 4478.

Festungen bis zum Aufkommen der Feuerwaffen (bis 1500)

Dies war seit der Epoche des römischen Kaiser Diocletianus (284-305) gleich geblieben. Man verließ sich im Abendland auf Befestigungen, die sich seit der Antike kaum verändert hatten. Ja, teilweise verwendete man bis ins späte Mittelalter Verteidigungsanlagen, die einst römische, bzw. byzantinische Kaiser hatten errichten lassen. Konstantinopel zum Beispiel war noch kurz vor seiner Eroberung stolz auf seine 22 Kilometer lange Stadtmauer, die Kaiser Theodosius im Jahre 423/4(!) erbaute. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, womit ein Angreifer selbst im 15. Jahrhundert noch zu rechnen hatte, wenn er eine große und mächtige Stadt zu erobern versuchte: Es handelte sich um eine polygonale Mauerbefestigungen, die den natürlichen Schutz der geographischen Lage optimal nutzte. In regelmäßigen Abständen war die Mauer durch Türme unterbrochen, die bei einer Belagerung dazu dienten, den Angreifer mit Fernwaffen zu beschießen. Vor der Hauptmauer gab es gelegentlich eine Vormauer, die eine äußere Verteidigungslinie bildete und durch einen Stadtgraben davor zusätzlichen Schutz erhielt. Über den Burggraben führte ein Damm zum Tor der Befestigung, dieser Damm war durch ein weiteres Tor auf der anderen Seite des Grabens geschützt. So eine Festung bot dem Verteidiger Schutz gegen alle damaligen Angriffswaffen, hauptsächlich Wurfmaschinen, wie sie seit der Antike zum Einsatz kamen. Mit ihnen konnte man bis zu 10 Zentner schwere Steine schleudern. 

Dordrecht / Niederlande. Rechenpfennig 1595 auf die Schlacht bei Bislich. Auf der Rückseite versucht ein Stoßtrupp mit einem Rammsporn eine Bresche in einen Wehrturm zu schlagen. Aus Sammlung Baums, Künker 116 (2006), 4246.

Nicht zu vergessen, die Widder, riesige Rammpfähle, mit denen man bevorzugt versuchte, das Tor aufzubrechen. Erwähnt seien noch die Bergfriede, hohe Türme, die dem Angreifer ermöglichten, auf gleicher Ebene mit seinem Feind zu kämpfen, sowie Minen, unterirdische Gänge, die mit hohem Zeitaufwand gegraben wurden, um die Mauer zum Einsturz zu bringen. All diese Techniken fanden bis weit ins 15. Jahrhundert hinein Verwendung.

Türkische Kanone aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, das größte und schwerste erhaltene Geschütz seiner Zeit. So muss man sich die Kanonen Urbans vorstellen, mit denen auf Konstantinopel geschossen wurde. Heute im Royal Armouries at Fort Nelson, Portsmouth. Foto: Gaius Cornelius. Ohne Copyrightbeschränkungen.

Eines hatten alle Angriffswaffen gemeinsam, sie dienten dazu eine stabile Mauer soweit zu zermürben, dass ein Sturmangriff möglich wurde. Die neuen Feuerwaffen, die man seit Beginn des 14. Jahrhunderts zum Einsatz brachte, stellten da keine wesentliche Änderung der Taktik dar. Wann zum ersten Mal eine Kanone bei einer Belagerung zum Einsatz kam, ist umstritten, ein mögliches Datum ist die Belagerung des italienischen Cividale von 1321. Auf jeden Fall beginnen sich in den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts die Belege für Feuerwaffen zu häufen.
Doch wie wirksam diese neue Technik war, das machte vielen wohl erst die Eroberung von Konstantinopel klar, das nach 6 Wochen starker Beschießung am 28. Mai 1453 im Sturm genommen wurde – übrigens nicht wegen einer Bresche im Mauerwerk, sondern weil sich ein Verräter gefunden hatte. Der ungarische Kanonenbauer Urban wurde in ganz Europa bekannt. Ein Gefühl der Bedrohung machte sich in Europa breit. Man fühlte sich durch die neue Waffe hinter den Stadtmauern nicht mehr sicher; es galt neue Befestigungsmodelle zu entwerfen, mit denen man den mächtigen Feuerwaffen widerstehen konnte.

Festungen seit dem regelmäßigen Einsatz von Feuerwaffen (1500-1650)

Als erstes war es nötig, die Mauern zu verstärken, damit sie den neuen, schweren und beweglichen Geschützen besseren Widerstand entgegensetzten. Das einfachste Mittel war das beste: Man schüttete hinter der steinernen Mauer einen Erdwall auf, der die Wucht des Schusses auffing und auf dessen fester Krone die Aufstellung von gegen die Belagerer gerichteten Geschützen möglich wurde. Die hohen mittelalterlichen Steinmauern mit dem hölzernen Wehrgang erwiesen sich für die Abwehr als untauglich. Man ersetzte sie durch niedrigere, von denen nur noch die äußerste Front mit einer Steinmauer befestigt war.

Schaffhausen. Goldmedaille zu 20 Dukaten o. J. (2. Hälfte 17. Jh.) Auf der Vorderseite ist der Blick auf die Stadt vom rechten Rheinufer aus zu sehen, ganz rechts im Blick die Festung Munot. Aus Auktion Künker 285 (2017), 135.

Ein Zeugnis des Übergangs hat sich bis heute in Schaffhausen am Rhein erhalten. Dort steht der Munot, Teil einer (nie gebauten) Befestigung, die nach Vorschlägen des Malers Albrecht Dürer errichtet werden sollte. Er war übrigens der erste Schriftsteller seit der Antike, der sich wieder mit dem Befestigungsbau beschäftigte. Sein Buch sollte das erste sein von einer ganzen Flut theoretischer Abhandlungen. Der Munot ist eine runde Bastion, von deren Krone aus Geschütze in alle Richtungen auf den Feind schießen konnten. Im Inneren der Bastion waren unterirdische Räume angelegt, in denen Vorräte und die Besatzung sicher untergebracht waren. Der Graben ist gegenüber den vorhergehenden Befestigungen wesentlich verbreitert und zusätzlich befestigt.

Schweiz. Gedenkmünze 2007. Foto: Swissmint.

So eine runde Bastion hatte den großen Nachteil, dass ein Raum vor dem Mauerfuß nicht durch Feuer von den benachbarten Wällen aus bestrichen werden konnte. War der Feind bis zur Mauer vorgedrungen, konnte er ungehindert Sturmleitern anlegen. Man musste also die Form der Bastionen verändern. Sie wurden zu regelmäßigen Vielecken, wobei jeder Architekt und Theoretiker seine eigenen Ideen davon hatte, in welchem Verhältnis die verschiedenen Seiten zueinander stehen sollten.

Saint-Andre / Gelderland / Niederlande. Goldener Jeton um 1600. Auf der Rückseite ideale Befestigung. Aus Sammlung Baums, Auktion Künker 116 (2006), Nr. 4229.

Wichtigstes Hindernis und wichtigster Bauteil waren jetzt nicht mehr die hohen Stadtmauern, sondern die Gräben mit ihren Wänden. Durch die Aushebung des Grabens erhielt der Bauherr genügend Material, um seine Erdwälle aufzuschütten. Diese Erdwälle wurden mit einer Steinmauer verkleidet. Die innere Grabenmauer nannte man Escarpe, die äußere Contrescarpe. Schießscharten im Escarpe ermöglichten einen Beschuss auf gleicher Höhe mit dem Angreifer. Gräben ließen sich natürlich auch fluten. Ab einer Wasserhöhe von 1.80 m ging man davon aus, dass ein Sturm auf eine Stadt nicht möglich war. Hinter dem System von Gräben und Vorwerken errichtete man den Wall mit seinen Bastionen, die nun unterschiedliche Formen annahmen, wie auch die Vorwerke in den verschiedensten Varianten existierten. Die Theorien und Ideen, die hinter den verschiedenen Systemen steckten, nannte man Manieren.
Die altitalienische Befestigung besaß lange (250 bis 300 m), unbefestigte Mauerabschnitte zwischen den polygonalen Bastionen. Die Bastionen endeten in einem relativ flachen Winkel. Dies war zwar ein großer Fortschritt gegenüber den runden Bastionen nach Dürer, hatte aber immer noch den Nachteil, dass Feuer in erster Linie nur nach vorne gerichtet werden konnte. 

Nijmegen / Niederlande. Medaille 1702. Auf der Rückseite Geschützfeuer von einer Bastion aus gesehen. Aus Sammlung Baums, Auktion Künker 116 (2006), Nr. 4268.

Die italienische Manier wurde in Deutschland von einem Architekten namens Daniel Speckle (1536-1589) verbessert. Er legte den vorderen Winkel der Bastionen mit 90° fest, wodurch auf der einen Seite genug Platz blieb, um Geschütze unterzubringen, auf der anderen Seite ein großer Radius für den Beschuss gegeben war. 

Philippsburg / Niederlande. Medaille 1676. Auf der Rückseite sieht man gut die spätere Weiterentwicklung der Idee eines Hornwerks. Aus Sammlung Baums, Auktion Künker 116 (2006), Nr. 4609.

Die einzelnen Bastionen waren durch eine weitere Befestigung auf der Bastion zusätzlich geschützt, so dass der Verteidiger selbst nachdem der Feind die erste Stufe der Bastion gestürmt hatte, sich noch weiter von einem höheren Platz verteidigen konnte. Weiterentwicklungen zu dieser Stufe waren das Vorwerk und das Hornwerk, die dem Angreifer zusätzliche Schwierigkeiten in den Weg legten.

Bergen op Zoom / Niederlande. Medaille 1631 von Jan van Loof. Wasser spielte, wie man auf der Vorderseite dieser Medaille sieht, eine entscheidende Rolle bei den Verteidigungsanlagen der niederländischen Städte. Aus Sammlung Baums, Auktion Künker 116 (2006), Nr. 4205.

Die Altniederländische Manier entstand im Niederländischen Befreiungskampf. Sie entwickelte sich aus einer Notlage heraus. Die vielen kleinen Städte hatten keine Befestigung und kein Geld. So musste möglichst schnell mit möglichst geringen Finanzmitteln eine effektive Verteidigungsanlage aus dem Boden gestampft werden. Und dies geschah buchstäblich. Man legte in Form der neuitalienischen Manier Erdböschungen an, die mit Faschinen und Reisig verstärkt und mit Rasen belegt waren. Vor diesem Hauptwall entstand ein zweiter, niedrigerer, so dass ein Feuer von zwei Etagen aus möglich wurde. Vor den Niederwall legte man zusätzliche Außenwerke, die Halbmonde, bzw. Horn- oder Kronwerke, wenn eine Seite besonders von einem Angriff gefährdet zu sein schien. Die Zwischenräume konnten geflutet werden. Damit war ein direkter Angriff unmöglich geworden. Fürchten mussten die Niederländer nur die Kälte und das damit verbundene Eis, das es den Angreifern ermöglichte, trockenen Fußes bis an die Mauer heranzukommen.

Im zweiten und letzten Teil dieses Beitrags sehen wir uns an, wie sich der Festungskrieg durch die großen Söldnerheere des Dreißigjährigen Krieges veränderte, und was Vauban, Ludwigs Festungsbaumeister für die Belagerungen bedeutete.